Hallo Elke,
was hast Du denn inzwischen bewirkt ? Ich bin gar nicht auf dem
"Laufenden" Wie ist der Stand der Dinge ?Hat man Dich arg gezaust ?
Besten Gruss +++Dagmar+++
Liebe Dagmar,
all den Aerger, den ich mir eingehandelt habe - es war die Sache wert. Mit
grosser Freude konnte ich beobachten, dass die Uebergabe der kath.
Kirchenbuecher an Polen in Deutschland doch nicht so sang und klanglos
hingenommen wurde. Die Leute mussten sich erst einmal von dem Schrecken
erholen. Im Maerz findet in Berlin eine Debatte ueber dieses Thema statt (es
handelt sich ja nicht nur um die Kirchenbuecher, sondern - wenn man weiter
denkt - um alle geretteten Dokumente, die das Leben und die Vergangenheit
der Fluechtlinge betreffen - wird nun alles an Polen abgegeben?). Ein Herr
fragte mich, ob er bei dieser Berliner Debatte meinen Brief vorlesen
koennte, der ein gutes Beispiel sei, so meinte er, was die Fluechtlinge
ueber diese Tat der katholischen Kirchen denken. Das stand fuer mich fest,
dass es der kath. Kirche nicht in den Sinn kam, mal zu bedenken, was denn
nun die Betroffenen - naemlich die Fluechtlinge - von diesem Unterfangen
hielten. Schon allein die Bemerkung, die ein Herr der kath. Kirche machte:
"Wir Fluechtlinge haetten die Kirchenbuecher ja nicht gerettet" - verraet
absolute Ignoranz.
Beste Gruesse
Elke Hedstrom, Garland, TX/USA
Zur Information:
EINLADUNG
Wem gehören die ostdeutschen Kirchenbücher?
Ein Streitgespräch zwischen Kirchenvertretern, Archivaren und Genealogen
Sonnabend, den 23. März 2002
Am 17. September 2001 wurde die Öffentlichkeit durch einen Bericht der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung darauf aufmerksam, daß ein Vertrag zwischen
der Deutschen und Polnischen Bischofskonferenz kurz vor dem Abschluß steht,
in dem die Übergabe von über 3.000 Kirchenbüchern aus dem Bischöflichen
Zentralarchiv Regensburg an verschiedene polnische Diözesanarchive
festgelegt wird. Es handelt es sich dabei um katholische Kirchenbücher, die
u.a. aus den früheren preußischen Ostprovinzen Ostpreußen, Westpreußen und
Posen stammen und während des Zweiten Weltkrieges beschlagnahmt und
ausgelagert wurden. Die Ankündigung hat in der deutschen Öffentlichkeit für
Aufsehen und erheblichen Widersprach gesorgt. Zum einen, weil es sich bei
den Kirchenbüchern um zentrale historische Quellen für die Bevölkerung in
ehemals deutschen Gebieten handelt, die gerade für die Vertriebenen mit
einen hohen Symbolwert verbunden sind, zum ändern weil durch die
Entscheidung ein Präzedenzfall geschaffen wird, der Auswirkungen auf die
polnischen Ansprüche auf kriegsverlagerte Bestände in bundesdeutschen
Archiven haben kann; Die Diskussionsveranstaltung will den verschiedenen
Interessenvertretern die Möglichkeit geben, ihre unterschiedlichen
politischen, juristischen und historischen Argumente vorzustellen, um damit
einen differenzierten Blick auf die komplizierte Thematik zu ermöglichen.
Programm Beginn 10.30
1. Begrüßung durch den Verein HEROLD
2. Kurzreferate:
- Msgr. Dr. Paul Mai (Direktor des Bischöflichen Zentralarchives Regensburg)
- Dr. Hartmut Sander (Direktor des Evangelischen Zentralarchives in Berlin)
- Detlef Kühn (Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft ostdeutscher
Familienforscher e.V.)
3. Publikumsdiskussion
Moderation: Prof.Dr.Friedrich Beck, Archivdirektor i.R., Leiter der
Fachgruppe Historische Hilfswissenschaften im Verein HEROLD
Ende gegen 13.00 Uhr
Veranstaltungsort: Vortragssaal des Museums Europäischer Kulturen, Im Winkel
6, Berlin-Dahlem
aus: Genealogie 50 (2001), S. 792 f.
Kommentar
Am 17.9.2001 berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung in einem längeren
Artikel [1], daß am gleichen Tag Kardinal Lehmann für die deutsche und
Kardinalprimas Glemp für die polnische Bischofskonferenz einen Vertrag
unterschreiben würden, der die Überführung von 366l [2] deutschen
Kirchenbüchern, vorwiegend aus Ost- und Westpreußen, nach Polen vorsieht und
zu dem sowohl die deutsche wie auch die polnische Regierung zugestimmt
haben. Bereits am 9.9. war eine entsprechende Kurzmeldung im Trierer
Bistumsblatt "Paulinus" erschienen. Seitens der katholischen Kirche wird
angeführt und im Vertrag ausdrücklich festgeschrieben, daß die
Matrikelbücher kein Kulturgut, sondern Kirchengut seien. Diese
Rechtskonstruktion ist außerordentlich problematisch, da das eine das andere
nicht ausschließt. Was ist ein mittelalterliches Kruzifix im Eigentum der
katholischen Kirche? Kirchenbücher sind im Kirchenbesitz befindliche
Geschichtsquellen von hohem Rang. Sie sind vor allem ein Zugang zu unserer
persönlichen Geschichte und ihre Bedeutung wird steigen, wenn sich endlich
die Erkenntnis durchsetzt, daß Sozialgeschichte auch und vor allem
Familiengeschichte ist. Matthias Crone vom Erzbischöflichen Amt Schwerin
weist darauf hin, daß die katholische Weltkirche keine deutschen oder
polnischen Kirchenbücher kenne, sondern nur die Bücher einer bestimmten
kanonisch errichteten Pfarrei [3]. Bedeutet das aber, daß sie dort
verbleiben müssen? Auch in der Bundesrepublik werden die älteren
katholischen Kirchenbücher zunehmend nicht mehr im zuständigen Pfarramt,
sondern in zentralen kirchlichen Archiven aufbewahrt. Wie zwingend ist
daher - auch nach kanonischem Recht - die Abgabe an polnische Bistümer? Ist
es vermessen zu vermuten, daß kirchenpolitische Gründe hier eine wesentliche
Rolle gespielt, haben?
Das sog. Belegenheitsprinzip, nach dem die Archivalien am Ort ihrer
Entstehung zu verbleiben haben, ist keineswegs unumstritten. Dr. Michael
Silagi vom Institut für Völkerrecht der Universität Göttingen hat auf dem
Archivtag in Cottbus darauf hingewiesen, daß in der
Staatennachfolgekonvention von 1983, die allerdings bisher nur von fünf
Staaten angenommen wurde und deshalb noch nicht in Kraft getreten ist, bei
Vertreibung der Mehrheit der Bevölkerung das Territorialprinzip für
Archivgut durch das personale Herkunftsprinzip ersetzt wird. Danach müßte
die Bundesregierung das einschlägige Archivgut von der polnischen Regierung
fordern, nicht umgekehrt.
Der Besitz der Archive hat auch mit Kontrolle von Geschichtsforschung und
Geschichtsdarstellung zu tun. Nicht nur totalitäre Regime haben das
vorgemacht. Die Geschichte des deutschen Ostens nach dem zweiten Weltkrieg
ist ein sensibles Thema, das sich auch und gerade an den Archiven festmacht.
In der Realität sollten dogmatische Vorstellungen der einen oder anderen
Seite einer realistischen Sicht Platz machen. Das Archivgut aus den
ehemaligen deutschen Ostgebieten ist - stark zufallsabhängig - heute auf
deutsche und polnische Archive verteilt. Es enthält die Daten zur
Vergangenheit einer Bevölkerung, von deren Nachkommen nur noch ein Bruchteil
im heutigen Polen lebt. Entscheidend ist daher die dauernde Sicherung der
Zugänglichkeit vor allem für die betroffenen Deutschen zu annehmbaren
Bedingungen. Dabei geht es nicht zuletzt um praktische Fragen. So sollten
Kopien bzw. Abschriften in der Originalsprache gewährleistet sein. Es soll
nicht übersehen werden, daß sich hier einiges bewegt hat. Grundsätzlich
dürfen polnische Standesämter Kopien der Eintragungen herausgeben, wenn ein
Kopiergerät zur Verfügung steht und der Zustand der Bücher es erlaubt. Es
sei an dieser Stelle auch auf die inzwischen erschienenen Verzeichnisse
deutscher Archivalienbestände in polnischen Staatsarchiven und Standesämtern
verwiesen.
Zur Übergabe der Kirchenbücher an die polnische katholische Kirche sind
unterschiedliche formalrechtliche Standpunkte denkbar. Unabhängig davon
wäre es gut und sachlich geboten gewesen, die Regelung dieser Angelegenheit
in den Kontext einer vernünftigen Gesamtlösung einzubeziehen. Für den
faktisch vollständigen Ausschluß der Öffentlichkeit bei der Aushandlung
eines Vertrages, der keineswegs nur kirchenrechtliche Fragen berührt, sind
Gründe nicht ersichtlich außer der Sorge vor öffentlichen Reaktionen. Es
macht nachdenklich, daß der Vertrag offensichtlich auch innerhalb der
katholischen Hierarchie als Geheimsache behandelt worden ist. Anders ist
jedenfalls die Äußerung des Limburger Weihbischofs Gerhard Piechl nicht zu
deuten, er habe mit Erstaunen dem Artikel "D steht für Danzig" die Absicht
der Kardinale Lehmann und Glemp entnommen, am 17.9.2001 den Vertrag über die
Übergabe der Kirchenbücher zu unterschreiben.
Die Suche nach einer annehmbaren Lösung für die Archivalien der ehemaligen
deutschen Ostgebiete wird wohl langwierig sein. Sie ist nur denkbar in
einem Prozeß der Geschichtsaufarbeitung in einem zusammenwachsenden Europa
und erfordert Zugeständnisse von allen Beteiligten. Esbleibt zu hoffen, daß
die Politik nicht versucht, sich mittels fauler Kompromisse ein lästiges
Thema vorschnell vom Halse zu schaffen. Ob weitgehend bedingungslose
Vorleistungen, wie die Übergabe der 3361 katholischen Kirchenbücher an die
polnische Kirche, einer Lösung der Problematik dienlich sind, bleibt
abzuwarten. Skepsis ist angesagt. Zu hoffen ist allerdings, daß die in
diesem Zusammenhang praktizierte Überrumplung der Öffentlichkeit nicht
Schule macht. Daß sie möglich war und weitgehend hingenommen wird, hat sehr
wesentlich auch mit dem spezifischen zeitgenössischen Verhältnis zur
Geschichte in Deutschland zu tun. Verdrängung ist kein Rezept,
eineöffentliche Debatte ist überfällig.
Hermann Metzke
[1] "D steht für Danzig". [3] FAZ vom
8.10.2001.
[2] richtig 3361 (FAZ vom 22.10.2001). [4] FAZ vom 22.10.2001.