Hofübergaben/ Hofübernahmen

Liebe Liste!

   Mein Anliegen ist, wie der Betreff unschwer erkennen laesst, dieses Mal
   etwas allgemeinerer Natur:

   Insbesondere unter meinen Lindemann-Vorfahren (und auch in anderen
   Linien) befinden sich diverse sogenannte Hufner.

   Ich bin gerade noch dabei, meine Daten durchzusystematisieren, um eine
   private kleine Statistik des Anfangs- und Endalters der jeweiligen
   aktiven Zeit als Hufner zu erstellen, d.h. bevor sich der jeweilige
   Hofinhaber auf das Altenteil zurueckzieht.

   Kann mir jemand Literatur zu Hufnern empfehlen? Oder ist jemanden bei
   den eigenen Ahnen etwas konkret aufgefallen?

   Dazu habe ich folgende Ideen:

   - Gab es feststehende Regeln? Gab es Usancen?

   - Gab es ein Mindestalter, um den Hof zu uebernehmen?

   Angesichts der Interimshufner scheint dem so gewesen zu sein. Ich habe
   jedenfalls einen Fall in der Familie, wo der Onkel vaeterlicherseits
   jahrelang den Hof fuer seinen kleinen Neffen gefuehrt hat, nachdem der
   Vater ueberraschend frueh verstorben war, als der kleine Erbe erst zwei
   Jahre alt war.

   - Gab es ein Hoechstalter? Ich habe z.B. einen Kandidaten dabei, der
   offensichtlich noch mit 69 Jahren den Hof selbst bewirtschaftet hat.

   - Gab es besondere Regeln fuer Interimshufner?

   - Gab es besondere Voraussetzungen? Musste man z.B. verheiratet sein?

   - Gab es evt. Hindernisse?

   - Gab es besondere Anlaesse fuer die Hofuebergabe? Vielleicht
   Hochzeiten?

   -- Mir ist aufgefallen, dass manche Trauungseintraege bezueglich des
   Braeutigams den Passus "der angehende Hufner" Soundso enthalten, z.T.
   der Sohn, z.T. der Schwiegersohn.
   -- Koennte damit evt. auch das z.T. auffaellig hohe Heiratsalter
   zusammenhaengen? Ich koennte mir jedenfalls gut vorstellen, dass so
   manche Braut, so sie das denn zu entscheiden hatte, sich geweigert hat,
   zu heiraten und somit auf den Hof der Schwiegereltern zu ziehen, bevor
   ihr Braeutigam nicht selbst Herr und damit sie selbst auch Herrin auf
   dem Hof werden konnte, um nicht faktisch eine Magd der (moeglicherweise
   ekeligen und herrschsuechtigen) Schwiegermutter zu werden!

   Viele Gruesse

   Roswitha (Lindemann)

Hallo Roswitha,

Generell kann man sagen, daß die Bräutigame mit 25 - 30 Jahren heirateten,
die Bräute eher mit 20 - 25 Jahren.
Der Vater übergab dann meistens den Hof und war dann 50 - 60 Jahre alt.
Er ging dann aufs Altenteil und "saß am Feuer", wie man so sagte.
Ausnahmen gab es natürlich immer.

Starb der Vater und die Kinder waren noch minderjährig, hat die Mutter
meistens ein zweites mal geheiratet und machte mit ihrem Mann einen Vertrag,
daß er als "Setzwirt" nur solange den Hof bewirtschaftet, bis ein Kind den
Hof übernehmen kann. (mit 21 - 25 J.)

Die Hofübergabe wurde meistens auf dem Amt schriftlich dokumentiert, aber
nicht immer. War alles glatt, hat man sich auch schon mal die Mühe gespart
oder es irgendwann (Jahre später) mal nachgeholt.
Autoren von Ortschroniken, die allermeistens nicht die Kirchenbücher
auswerten sondern statt dessen die Schuld- und Pfandprotokolle, berichten in
den Chroniken oft darüber.

Hier habe ich noch eine Abschrift für dich :
Erbrecht auf dem Lande - oder 'das gekaufte Erbe'

In den Kreisen Stormarn und Pinneberg herrschte Jüngstenrecht, der jüngste
Sohn war "Anerbe" und hatte Anspruch auf den Hof. In der Praxis kam es nur
dazu, wenn der Vater den Hof sehr lange regierte. Dann heirateten die
älteren Brüder inzwischen in freiwerdende Höfe. Sonst aber wurde meistens
derjenige Erbe, der beim Tode des Vaters das passende Alter von etwa 30
Jahren hatte. Der Jüngste empfing dann über seinen Anteil hinaus eine
Abfindung "für den Abtritt vom Hofe", das "Hergewätes Pferd" genannt, diese
Abfindung betrug um 1600 meistens 30 Mark. In Hummelsbüttel (Ksp. Eppendorf)
wurde 1587 auf Hof 9 dem Heine Ellerbrock von seiner Mutter dies als
"Herweide" zugestanden, es betrug 32 Mark. Heine war aber offenbar der
älteste Sohn. Doch auch der jüngste Sohn Eggert bekam über das allgemeine
Erbteil von 20 Mark hinaus noch 30 Mark dazu.

Es heißt so oft, der Bauer kenne nur einen Sohn, den Hoferben. Die Brüder
würden, um den Hof zu erhalten, nur ungenügend abgefunden. Nichts ist
verkehrter als diese Ansicht. Der Hof ist kein Kaufobjekt wie ein
städtisches Erbe. Der Wert des Landes, das an sich unverkäuflich war (weil
es dem Landesherren gehörte), wurde nicht gerechnet. Haus, Vieh und
Ackergerät waren der Reichtum des Bauern.
Eine Ausstattung der Geschwister, die dem Wert des Hofes einschließlich
Land entsprach, hätte erforderlich gemacht, daß der Eigentümer den
mehrfachen Wert des Hofes in einer Generation als Überschuß
herauswirtschaftete. Das war ein Unding. In Stormarn hatte der Bauer vor
lauter "Herren-Abgaben" und Hofdiensten bis 1725 kaum satt zu essen. In
Pinneberg ging es, sofern kein Krieg im Lande war, etwas besser her.
Der Hof stellte sozusagen die gesamte Sozialversicherung der Familie dar.
Wenn er an einen Erben übergeben wurde, mußte den Eltern, oft auch
kränklichen Geschwistern, der "Abschied" gewährt werden, der Wohnung und
Verpflegung, eine geringe Geldabfindung, Arzt und Arzneikosten und ein
standesgemäßes Begräbnis umfaßte. Obendrein erhielten die heiratenden
Geschwister eine Aussteuer nach Landessitte, mit der sie in Ehren ihren
"freien Ausgang" halten konnten, wenn sie in einen fremden Hof zogen. Nicht
gering war die Last der Hypotheken. So geschieht die Hofübergabe in Form
eines Kaufes.

Ist nur ein Erbe vorhanden, dann ist die Nennung einer Kaufsumme unnötig.
Sind mehrere Kinder da, so werden vorerst Schulden und Hypotheken
zusammengezählt. Dazu schlägt man die Summe, die den Geschwistern
"ausgekehrt" werden kann, ohne den Hof zu ruinieren. Das Ganze ergibt die
Kaufsumme. Die Landesherrschaft behielt sich ihre Genehmigung vor und
minderte nicht selten die Abfindungen, um einen Hof lebensfähig zu erhalten.

Setzwirte : eine Witwe mit minderjährigen Kindern brauchte jemanden, der die
Familie versorgte und den Hof bewirtschaftete. Dabei sollte der Hof aber
nicht in fremden Besitz gelangen. Wenn sie wieder heiratete, wurde die
Stiefvater nur "Setzwirt" oder "Pächter". Es wurde vertraglich festgelegt,
daß er nur auf eine bestimmte Zeit von Wohnjahren den Hof regierte, dann
mußte er den Hof an einen Erben übergeben.
Das konnte sein Stiefsohn oder sein Stief-Schwiegersohn sein. Nur wenn ein
reicher Setzwirt auf einen armen Hof kam, stellte er die Bedingung, daß
seine statt des Vorwirtes Kinder dereinst den Hof erben sollten.

Aus "Geschichte des Dorfes Hummelsbüttel " von Armin Clasen, 1938

Freundliche Grüße
Peter (Dörling)

Webseiten:
www.schmunzelmal.de - Schmunzelgeschichten, Katzengeschichten, Gedichte,
Poesie
www.ahnenforschung-in-stormarn.de - Ahnenforschung und Geschichte im Kreis
Stormarn
www.suetterlinschrift.de - Sütterlinschrift und Frakturschrift

Das gilt auch mindestens für Teile von Segeberg (so in Hartenholm).

Viele Grüße

Jutta

Hallo Peter!

   Herzlichen Dank fuer Deine ausfuehrliche Antwort! Das ist wirklich nett
   von Dir. Vielen Dank!

   Der Begriff Anerbenrecht (= Einerbenrecht - so viel ich gehoert habe,
   also ungeteilt ), ist mir gelaeufig, und ich weiss auch, dass das je
   nach Region der Aelteste oder der Juengste war.

   Fuer das Lauenburgische ist es anscheinend der Aelteste.

   Meine Hufner haben dann im Vergleich zu Deinen Daten im Schnitt recht
   spaet geheiratet.

   Fuer die Hufnerpaare in Siebeneichen habe ich folgende Heiratsalter:

   - Henning Lindemann: ?
   - Jochim Lindemann: 47 J (!); Braut Becke: 22 J
   - Franz Lindemann: 32 J; Braut Ilsabe: 18 J
   - Franz Jochen Lindemann (I.): 22 J; Braut Catharina Margarethe: 25 J
   - Franz Jochen Lindemann (II.): 32 J; Braut Catharina Elisabeth: 19 J
   - Franz Jochen Jacob Lindemann: 30 J; Braut Maria Magdalena: 19 J
   - Franz Jochen Andreas Lindemann: 30 J; Braut Catharina Elisabeth
   Sarah: 32 J
   - Franz Eggert Caspar Lindemann: 33 J; Braut Caroline Dorothea: 34 J

   Da ist lediglich ein Ausreisser unter 30 Jahre alt.

   Fuer die Hufner in Kankelau habe ich folgenden Heiratsalter ermittelt:

   - Henning Lindemann: ?
   - Steffen Lindemann: ? (erstes bekanntes Kind mit 50 J(!))
   - Hans Lindemann: 34 J; Braut Ilsche: knapp 26 J
   - Hinrich Lindemann: 27 J; Braut Susanna: 23 J
   - Hans Juergen Lindemann: kurz vor 31 J; Braut Anna Hedwig: ca. 21 J
   - Hans Hinrich Lindemann: 26 J; Braut Anna Magdalena: gut 20 J
   - Hans Nicolaus Lindemann: 25 J; Braut Catharina Margaretha Maria: 24 J
   - Hans Heinrich Lindemann: 30 J; Braut Anna Margaretha Elisabeth: knapp
   30 J
   [- Hans Heinrich Friedrich Lindemann: bleibt ledig]

   ok. Etwas schneller als meine Hufner zu Siebeneichen.

   Fuer die Uebergabe von Franz Jochen Lindemann (II.) zu Franz Jochen
   Jacob Lindemann habe ich den Hofuebergabevertrag vorliegen. Da bekam
   jedes Geschwister eine Abfindung von 100(!) Reichstalern und noch mehr.
   Aber das war erst Ende des 18. Jahrhunderts.

   Nochmals vielen Dank!

   Viele Gruesse

   Roswitha (Lindemann)

Dir auch vielen Dank, Jutta!

Hallo Roswitha,

zum Thema Hofübernahmen hat Frau Dr. Tanck bei unserem Ahnenforscher-Treffen
2018 in Lauenburg einiges vorgetragen.

Hier ein Auszug:
"Anders als z. B. in westdeutschen Territorien herrschte im Herzogtum
Lauenburg das Einerbenrecht, d. h. in der Regel erbte der älteste
überlebende Sohn den Hof. War kein Sohn vorhanden, erbte die älteste
Tochter. Nachgeborene Söhne erlernten ein Handwerk oder versuchten auf Höfe
zu heiraten, wo entweder kein männlicher Erbe war oder als Interimswirt.
Schlimmstenfalls blieben sie Knechte. So kam es durchaus vor, dass der Sohn
eines Hufners sein Leben lang Knecht blieb. Eine gewisse Alternative war das
Handwerk, wobei die Möglichkeiten auf dem Lande jedoch sehr beschränkt
waren. Meistens waren es Kätner, die ein Handwerk als Zubrot betrieben.
Typisch ländliche Handwerke sind Weberei, Schmiede, Stellmacher, später auch
Schneider und Tischler."

Viele Grüße

Brigitte (Schmyura)

Hallo Brigitte!

   Vielen Dank fuer Deine freundliche Auskunft!

   Zufaellig waren meine direkten Vorfahren ueber viele Generationen stets
   der aelteste Sohn.

   Dann war einer meiner direkten Ahnen lediglich der zweite Sohn,
   schaffte es aber noch, sich seinerseits eine Hufe zu erheiraten.
   Dessen

   siebenter Sohn, der nur noch geschafft hat, eine Anbauerstelle zu
   erheiraten, hatte auch das Schneiderhandwerk erlernt.

   Viele Gruesse

   Roswitha