Fuchs, Robert: Heirat in der Fremde. Deutschamerikaner in Cincinnati im
späten 19. Jahrhundert
(= Studien zur historischen Migrationsforschung 29).
Paderborn: Ferdinand Schöningh Verlag 2014. ISBN 978-3-506-77857-4; 365 S.;
EUR 44,90.
Rezensiert für H-Soz-Kult von:
Jens Gründler, Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch
Stiftung
E-Mail: <jensgruendler@mac.com>
Die historische Migrationsforschung hat sich in den letzten Jahrzehnten
als fester Bestandteil der mit sozialwissenschaftlichen Methoden arbeitenden
Geschichtswissenschaft etabliert. Die von Robert Fuchs in der Reihe des
Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien veröffentlichte
Arbeit beschäftigt sich mit dem Heiratsmarkt für Deutschamerikaner in
Cincinnati (Ohio) vor der Wende zum 20. Jahrhundert. Dabei vertritt Fuchs die
These, dass die Wahl der Heiratspartner als ein Indikator für den Grad der
Akkulturation der Ehepartner angesehen werden kann. Er folgt allerdings nicht
älteren Ansätzen, die ausschließlich inter-ethnische Ehen untersuchten,
sondern blickt gerade auch auf die Heiraten unter Deutschen. Er differenziert
dabei die Deutschamerikaner nach verschiedenen Herkunftsregionen innerhalb
des Deutschen Reiches. Zwar kann man einwenden, dass bei der Einteilung in
'Nordwestdeutsche' oder 'Preußen' immer noch Unterschiede in den
aggregierten Daten verloren gehen, Fuchs ist sich dessen aber bewusst und macht auf
mögliche Differenzen z.B. durch Konfessionszugehörigkeit oder Dialekte
nachdrücklich aufmerksam.
Der Untersuchungs(zeit-)raum ist gut überlegt gewählt. Cincinnati zählte
im Zensus von 1880 mehr als 255.000 Einwohner, von denen mehr als 112.000
(44%) Deutschamerikaner der ersten und zweiten Generation waren. Diese lebten
über alle Teile der Stadt verstreut, mit besonders hoher Konzentration
aber in wenigen Nachbarschaften, die den Titel 'Over the Rhine' trugen.
Darüber hinaus waren Deutsche aus allen Gebieten des Reichs und aller
Konfessionen in Cincinnati ansässig, so dass einerseits eine ausreichend große
Untersuchungsgruppe vorhanden war, die andererseits aber weder homogen noch nahezu
vollständig ethnisch abgeschottet war. Fuchs zieht für die Untersuchung
die Daten aller Einwohner Cincinnatis des Zensus von 1880 als Grunddatensatz
heran. Hinzu kommen eine Reihe verschiedener weiterer Quellen, wie z.B.
City Directories für die Überprüfung der im Zensus vermerkten Berufe oder
Tauf- und Vereinsregister, um die Konfessionszugehörigkeit der Einwohner
festzustellen. Ebenso versucht Fuchs, dass jeweilige Alter der Deutschamerikaner
bei der Einwanderung zu eruieren, um die Einflüsse der Sozialisation
nachvollziehbar zu machen. Insgesamt gelingt es ihm damit, für einen Teil der
Untersuchungsgruppe ein äußerst detailliertes Bild zu zeichnen. Diese
differenzierten Datensätze bilden die Grundlage der Analyse der separierten
Heiratsmärkte der Deutschamerikaner.
Der erste Teil der Untersuchung analysiert das Heiratsverhalten der
Deutschamerikaner entlang verschiedener Kategorien von Differenz: Zugehörigkeit
zur ersten oder zweiten Generation der Einwanderer, 'region of heritage',
Geschlecht, Konfessionszugehörigkeit, Sozialstatus, Alter und Wohnort in
Bezug auf die Konzentration von Deutschen in den Nachbarschaften. Die
Ergebnisse dieser Kapitel sind im Einzelnen vielleicht nicht immer überraschend, das
schmälert die Leistung des Autors aber keineswegs, weil er ein äußerst
genaues Bild des Heiratsverhaltens darstellen kann. Viel genauer, als das in
den zuvor durchgeführten Untersuchungen der Fall war. Im zweiten Teil der
Arbeit führt er die Ergebnisse der einzelnen Kategorien in einer
multivariaten Analyse zusammen. Detailliert kann er Unterschiede zwischen Frauen und
Männern oder die Bedeutung der Zugehörigkeit zu verschiedenen
Einwanderergenerationen darstellen. So hat Fuchs festgestellt, dass insbesondere die
Männer der zweiten Generation im Heiratsverhalten diejenigen waren, die am
stärksten akkulturiert waren, also den Männern gleichen Alters mit
amerikanischen Eltern im Verhalten am ähnlichsten waren. Diese Männer der zweiten
Generation - in der Arbeit fallen in diese Kategorie die Männer, deren
Sozialisation maßgeblich in den USA stattgefunden hatte, die dort zur Schule gegangen
waren und eine spezielle Selbstidentifikation ausgebildet hatten -
heirateten nicht nur jünger als diejenigen der ersten, sondern auch verstärkt über
die Grenzen der Heimatregionen ihrer Eltern hinweg. Dieses Ergebnis gilt
mit Abstrichen auch für die Frauen der zweiten Generation, die bis zu einem
bestimmten Alter ebenfalls seltener Partner aus ihrer 'region of heritage'
wählten, die also schon weniger gut akkulturiert waren. Allerdings hatten
die Frauen, insbesondere mit wachsendem Sozialstatus, weniger Möglichkeiten,
Heiratsmärkte außerhalb der familiären und gemeindlichen Netzwerke
kennenzulernen, wie Fuchs erklärt. Ihre Heiratsentscheidungen waren auch in der
zweiten Generation noch stärker an tradierten Rollenvorstellungen, die die
Eltern aus Deutschland mitgebracht und weitergegeben hatten, orientiert.
Dennoch waren auch diese Frauen besser in der Lage, regionale Grenzen zu
überwinden, als ihre Eltern. Dagegen hatten die Väter und Mütter dieser Männer
und Frauen noch in sehr hohem Maße Personen aus ihren Heimatregionen
geheiratet. Nordwestdeutsche Männer heirateten z.B. nahezu ausschließlich Frauen
aus der Region, in der Regel sogar aus den eigenen Dörfern oder den
Nachbargemeinden. Einwanderer aus den katholischen Enklaven des Nordens standen
damit vor erheblichen Problemen, war ihr potentieller Heiratsmarkt doch äußerst
klein, so dass sie eher Katholiken anderer Regionen heirateten. Ebenso
regional-endogam verheirateten sich die Südwestdeutschen, wobei Badener,
Württemberger und Bayern, wie Fuchs feststellt, aufgrund von Konfession und
Mentalität nur äußerst selten untereinander zusammenfanden. Die regionalen
Grenzen wurden in der Regel erst in der zweiten Generation aller Einwanderer
durchlässig, wenn auch nicht obsolet. Schließlich waren auch in Cincinnati die
deutschsprachigen Einwohner in einer Reihe landsmannschaftlicher
Organisationen und Vereine organisiert, genau wie in anderen Städten der USA.
Auch die nur schwer zu überwindende Konfessionsgrenze kann Fuchs anhand
des Heiratsverhaltens belegen. Interkonfessionelle Heiraten gab es in
Cincinnati unter Deutschamerikanern nur äußerst selten und wurden besonders von
katholischen Geistlichen mit Sanktionen belegt. Darüber hinaus ist davon
auszugehen, dass auch die Gemeindemitglieder selbst Ehen zwischen den
Konfessionen eher kritisch betrachteten und versuchten, diese zu unterbinden. Die
Konfessionszugehörigkeit, so Fuchs, war eine grundlegende Grenze, an der
sich die Heiratsmärkte separierten. Die ausgeprägten Gegensätze zwischen
Katholiken und Protestanten im Deutschen Reich, so scheint es, verschärften sich
in Cincinnati noch.
Leider sind in der sehr guten Aufarbeitung der Daten die qualitativen
Erklärungen für die gewählten Heiratsoptionen nicht immer vollumfänglich
überzeugend. So könnte man sich fragen, ob die Entscheidung der Immigranten der
ersten Generation für einen Ehepartner aus der Herkunftsregion tatsächlich
als eine bewusste Entscheidung und damit als Zeichen der
Regionalverbundenheit gedeutet werden kann, oder ob nicht pragmatische Gründe, geteilte
Erfahrungshorizonte und Dialekte ein stärkere Rolle gespielt haben könnten. Bei
Einwanderern der ersten Generation fehlten vielleicht auch grundlegende
Sprachkenntnisse, um eine emotionale Beziehung über ethnische Grenzen hinweg in
einer Ehe zu konstituieren und aufrechtzuerhalten. Schließlich standen
außerhalb der eigenen, deutsch-amerikanischen Gruppen, im Prinzip nur
englisch-sprachige Personen für eine Ehe zur Verfügung. Für eine qualitative
Analyse des Heiratsverhaltens hätten allerdings viel stärker Ego-Dokumente wie
Briefe, Tagebücher und Autobiographien genutzt werden müssen, die hier eher
selektiv verwendet werden. Allerdings hätte das den Rahmen der
Forschungsarbeit wohl gesprengt.
Das zentrale Ergebnis der Arbeit ist, dass jenseits der Konfessionsgrenzen
letztendlich zwei Hauptfaktoren auszumachen waren, die die Wahl des
Ehepartners/der Ehepartnerin beeinflussten: die Generationszugehörigkeit und das
Geschlecht. Erst in abgeschwächter Form spielten das Alter, der
Sozialstatus, die Heimatregion oder das Wohnviertel in Cincinnati eine Rolle. Fuchs
kann bestechend nachweisen, dass die Heiratsmärkte in Cincinnati besonders
für die erste Generation der Einwanderer stark zersplittert waren. Auch wenn
seine qualitativen Erklärungen für das Heiratsverhalten nicht immer
vollkommen überzeugen können, ist es ihm mit seiner Beschreibung der Heiratsmärkte
und der realisierten Heiratsoptionen der Deutschamerikaner in Cincinnati
gelungen, einen Standard zu setzen, an dem sich ähnliche Studien, die er zum
Vergleich für andere Städte anregt, messen lassen müssen.
Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Daniel Menning <daniel.menning@uni-tuebingen.de>
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