Um 1400 verl�uft die Westgrenze des litauischen Siedelungslandes von s�dlich
Grodno auf das Memelknie bei Grodno zu, von Grodno aus die Memel abw�rts �ber
Kowno bis zur Dubissa-M�ndung, die Dubissa aufw�rts bis ungef�hr in die Gegend
von Butkischke, von dort, die Dubissa verlassend, in nordwestlicher Richtung, am
S�drand Hochzemaitens entlang, bis in die Gegend von Kvedarna. Von dort verl�uft
sie im Bogen �ber Twer nach Medingenai, wo sie nach Osten umbiegt und zur Windan
geht. Dieser Verlauf der Westgrenze wird durch die Verteilung der
mittelalterlieben Kirchengr�ndnngen in Litauen und durch die Anordnung der von
Kriegsz�gen heimgesuchten Ge�biete best�tigt. Die Nordgrenze verl�uft von
Medingenai �ber Lukniki (Luoke), umfa�t im Bogen das Siedelungsgebiet von
Schaulen, hat dann eine weite, fast kreisf�rmige Einbuchtung nach S�den bis in
die Gegend von Betygala. von dort nach Osten und westlich der Nevezys nach
Norden bis hart nordwestlich Poniewiez (Panevezys). �stlich Panevczys haben wir
wieder eine starke Ausbuchtung bis s�dlich Seta, von wo die Grenze nach
Nordosten und schlie�lich �ber ungef�hr Utena nach Osten bis n�rdlich Svenzionys
vorl�uft. Au�erhalb des litauischen Siedelungsland befand sich um 1400 l�ngs
der gesamten Grenze ein mehr oder minder ausgedehntes Wilduisgebiet.
Sehen wir uns nun die Anordnung des litauischen Siedelungslandes und der Wildnis
v o m g e o g r a p h i s c h e n G e s i c h t s p u n k t aus an, so
erkennen wir verschiedenes Interessante. Das litaui�sche Siedelungsland ist im
ganzen, das ist wohl das Hervor�stechendste, ein diluviales H�gelland, zum
gr��ten Teile Endmor�nen- oder kuppige Grundmor�nenlandschaft. Es weist
in�folgedessen durchschnittlich verh�ltnism��ig leichten Boden auf und ist in
jedem Fall ausgezeichnet entw�sserbar. Die Bearbeitung des Bodens ist mit den
einfachsten Mitteln m�glich; das Gebiet als Ganzes ist f�r den damaligen
Kulturstand der Bewohner ein ausgezeichnetes Siedlungsgebiet gewesen .
Zwar ist das ganze, an das litauische Siedelungsland im Westen und Norden
angrenzende Gebiet �berwiegend eben, ziem�lich feucht und daher weniger
siedelungsfreundlich; doch haben wir an manchen Stellen keinen Unterschied
zwischen den Gebieten au�erhalb und innerhalb der Grenze. Wenn wir ehrlich sein
wollen, k�nnen wir mit der Geeignetheit f�r die Bewirtschaftung als Er�kl�rung
f�r die Gesamtausdehnung des litauischen Siedelungsraumes von 1400 nicht so sehr
viel anfangen, wie ich fr�her dachte, als ich die Verh�ltnisse im Norden noch
nicht kannte.
Daaf�r haben wir den Gegensatz der Besiedelung h�geligen und leicht
entw�sserbaren Bodens zu schlecht entw�sserbarem Boden innerhalb des litauischen
Siedelungsraumes als Gegen�satz zwischen Wald und Siedelungsland au�erordentlich
scharf ausgepr�gt. Ein merklicher Teil der innerlitauischen
Siedelungsinseln schlie�en sich eng an die diluvialen H�henz�ge an, seien es
Endmor�nen oder Osar, oder auch andere H�gelgruppen.
Neben diesem Zusammenhang zwischen Siedelungsfl�chen und H�henz�gen ist noch ein
anderer Zusammenhang zwischen den inner�litauischen Siedelungsfl�chen um 1400
und den nat�rlichen Ver�h�ltnissen au�erordentlich auffallend. Man findet
n�mlich, da� ein ebenso erheblicher Teil der Siedelungsinseln. und zwar
ziem�lich alle Fl�chen, die sich der bereits erw�hnten Gesetzm��igkeit nicht
f�gen, sich au�erordentlich eng an die Flu�linien an�schlie�en. Der Zusammenhang
ist z. T. recht einfach darin be�gr�ndet, da� die N�he flie�enden Wassers jedem
Siedler Vorteile bot. Es ergibt sich aber noch als sehr wahrscheinlich, da� wir
in dieser Siedelung l�ngs der Fl�sse eine Auswirkung der litauischen
Einwanderung vor uns haben. .Jedes Volk h�lt sich in einem Urwaldgebiet, und als
solches d�rfen wir das Gebiet vor der letzten kontinuierlichen Besiedelung wohl
betrachten, eng an die Fl�sse und B�che. Sie erm�glichen ihm den Eingang, das
weitere Vordringen und auch allein die Orientierung. Wir finden das in den
meisten Urwaldgebieten noch heute. Eine Besiedelung in den heutigen
Urwaldgebieten geht entweder von der Quelle aus flu�abw�rts oder aber von der
M�ndung aus flu�aufw�rts, auf jeden Fall kaum quer zum Verlauf der Fl�sse.
Aus der Tatsache der Einwanderung l�ngs der Fl�sse l��t sich auch der Charakter
der Namengebung der litauischen Fl�sse erkl�ren. Edward Schr�der bezeichnet es
dort, wo die Fl�sse nicht Leitlinien des Verkehrs oder der Siedelung sind, als
die Regel, da� ein Flu� l�ngs seines Laufes den Namen wechsele, weil den
Anwohnern des einen Flu�abschnittes der an anderer Stelle �bliche Name nicht
bekannt sei. In Litauen f�hren m. W. alle Fl�sse l�ngs ihres Laufes den gleichen
Namen, eben weil sie die Leitlinien der Besiedlung sind. Die Bev�lkerung, die
dort den Namen am Unterlaufe gab, war selbst vom Oberlaufe gekommen (oder aber
umgekehrt); sie konnte �ber den Zusammenhang der einzelnen Flu�st�cke desselben
Flusses nicht im Zweifel sein . Jetzt, nachdem wir den Schlu� auf Einwanderung
l�ngs der Fl�sse gemacht haben, k�nnen wir auch den eigentlichen Zu�sammenhang
der Grenze des litauischen Siodelungsraumes von 1400 mit den nat�rlichen
Verh�ltnissen erkennen und begr�nden. Wir sehen n�mlich, da� die Grenze sich
�berall in her�vorragender Weise mit der Wasserscheide des Ein�zugsgebiets der
mittleren Memel deckt, sie zum min�desten an keiner Stelle merklich
�berschreitet. Die �berein�stimmung ist auch dort vorhanden, wo die
Wasserscheide aus mor�phologischen Gr�nden auffallende Ausbuchtungen besitzt.
Nur an einigen Stellen f�llen die Litauer um 1400 das Memeleinzugsgebiet nicht
v�llig aus (vgl. unten). Auch dort, wo die Siedelungsgrenze l�ngs der Memel
verl�uft, k�nnen wir, ohne uns mit den historischen Feststellungen in
Widerspruch zu setzen, die �berein�stimmung mit der Wasserscheide als
wahrscheinlich annehmen, denn gerade dort befindet sich die Wasserscheide der
zur mitt�leren Memwl und der von dort weg zur unteren Mernel flie�enden Gew�sser
in unmittelbarer N�he der Memel.
Der Zusammenhang des litauischen Siedelungsgebietes mit dem Memeleinzugsgebict
ist nicht so mystisch, wie es auf den ersten Anblick erscheinen k�nnte. Wer in
Urwaldgebieten gereist ist, wei�, da� es tats�chlich einen gewissen Entschlu�
bedeutet, den Leitflu�, dem man gefolgt ist, an seiner Quelle zu verlassen; denn
mit dem Augenblick wird die Orientierung unsicher, man kommt in ein Gebiet, das
man nicht kennt und aus dem man sich nicht mit Sicherheit an seinen
Ausgangspunkt zur�ckfinden kann. Wenn man nun noch beachtet, da� in sehr vielen
F�llen die Wasser�scheiden besonders schlecht entw�ssert und damit
siedelungsfeindlich sind, so wird man sich �ber die enge Anlehnung der alten
litauischen Siedelungsgrenze an die Wasserscheide nicht mehr wun�dern. Da
Wasserscheiden auch in Altpreu�en Siedelungsgrenzen gewesen sind, scheint es
sich dabei um eine Gesetzm��igkeit aller�erster Ordnung zu handeln. Wir d�rfen
es als ein allgemeines Gesetz im baltischen Gebiet hinstellen, da� die Fl�sse
die Leitlinien der Besiedelung, die Einzugsgebiete Wohn�gebiete einheitlicher
V�lker und die Wasserscheiden Grenzen des Volksraumes waren. Womit nat�rlich
nicht gesagt ist, da� in einem zu gro�en Einzugsgebiet nicht mehrere V�lker
gewohnt haben k�nnen: jedoch dann in der Weise, da� die V�lker sich l�ngs
des jeweiligen Hauptflusses hintereinander anordneten.
Mit dieser Kenntnis versehen k�nnen wir jetzt an die Betrach�tung der
Verh�ltnisse in der Zeit vor 1400 gehen. Wir m�ssen dazu erst einmal
feststellen, da� die litauische Siedelungsgrenze von 1400 kaum uralt gewesen ist
(vgl. jedoch unten Anm. 1), da wir ja eingangs gesehen hatten, da� die Litauer
wahrscheinlich 900 Jahre fr�her an ganz anderer Stelle, n�mlich im Quellgebiet
des Dnjepr und der anderen nach S�den gehenden Fl�sse, gesessen haben.
Andererseits d�rfen wir jedoch auch nicht sagen, da� die 1400-Grenze �berhaupt
nur ein zuf�llig erfa�ter Augenblickszustand ist. Zwar zeichnet Buga auf seiner
Karte von 1200 (1924 a. a. O.) die Grenze des litauischen Volkes etwas anders,
und zwar im Westen weniger weit im Sinne des litauischen Vordringens, als wir
f�r 1400 erkannt haben. Doch gibt er daf�r keine Be�weise, und aus den Urkunden
usw. l��t sich auch keinerlei Beweis daf�r finden. Der einzige erkennbare Beweis
scheint mir der Name Zemaiten f�r eine sp�ter im Hochlande befindliche
Bev�lkerung zu sein, und diesen Beweis habe ich bereits an anderer Stelle
ent�kr�ftet (Litauen S. 83 f.). Eher deuten die Quellen aus der Zeit vor 1400
immer wieder darauf hin, da� eine Verschiebung des litauischen Wohnraumes
zwischen 1200 und 1400 nicht stattge�funden hat. Die Tatsache, da� die Grenze
von 1400 so ausge�zeichnet nat�rlich bedingt ist und einen nat�rlichen Wohnraum
umschlie�t, l��t es ebenfalls wahrscheinlich erscheinen, da� die Grenze um 1400
bereits seit l�ngerer Zeit konstant war. �berdies ist es sehr bemerkenswert, da�
wir noch am heutigen litauischen Siedelungsbilde gerade das vor 1400 und das
kurz nach 1400 be�siedelte Gebiet sehr deutlieh unterscheiden k�nnen. Das w�re,
da nach 1400 die Grenze bald �berschritten wurde (vgl. unten S. 191 ff.), kaum
der Fall, wenn die 1400 - G r e n z e nicht vor 1400 gegen��ber allen anderen Z
w i s e h e n s t a d i e n besonders lange bestanden h�tte.
Au�erhalb des litauischen Siedelungslandes interessiert uns in erster Linie das
Gebiet im Westen, das einen erheblichen Teil des heutigen Ostpreu�en in sich
begreift. V o n d e r W e i c h s e 1 im Westen bis zur Alle und Deime im
Osten erstreckte sich, nach dem Abz�ge der Germanen aus den westlichsten Teilen,
dichtes preu�isches Siedlungsgebiet. In dem Gebiet �st�lich davon sa�en vor der
Ankunft des Deutschen Ordens die eben�falls preu�ischen Nadrauer, Schalauer und
Sudauer. und zwar die Sudauer westlich der mittleren Memel, nach Ostpreu�en in
das heutige Masuren hineinreichend, die Schalauer beider�seits der unteren Memel
und die Nadrauer am oberen 1P r e g e 1 und dicht �st1ich der Deime und A11 e.
Jm ganzen ist die Besiedlung des gesamten �stlichen Ostpreu�en bereits vor der
Mitte des I3. Jahrhunderts, also vor dem Eingreifen des Ordens, sehr l�ckenhaft,
und weite Gebiete d�rften Wildnischarakter be�sessen haben. F�r die Schalauer
und die Nadrauer ist es �ber�haupt fraglich, ob sie jemals ein ausgedehnteres
Wohngebiet be�sa�en. Von den Sudauern wissen wir, da� sie mehrere Jahrhun�derte
vor dem Eingreifen der Ritter ein recht m�chtiges Volk ge�wesen sein m�ssen. Der
nadrauische Wohnraum bleibt die ganze Ordenszeit hindurch der gleiche; er ist
als �stlichster Teil des geschlossenen preu�ischen Siedelungslandes zu
betrachten. Die Schalauer scheinen noch w�hrend der Ordenszeit an
Siedelungs�fl�che zu verlieren. Gegen Ende des 14. Jahrhunderts werden Schalauer
nur noch als Bev�lkerung von Vorburgen an der Memel erw�hnt; eine eigentliche
schalauische Siedelungsfl�che ist kaum mehr vorhanden. Die Sudauer verschwinden
binnen kurzem v�llig, und um 1300 dehnt sich auch auf ihrem Gebiete die
siedlungsleere Wildnis aus. Die Karsovier westlich der unteren Du-bissa sind ein
sehr problematisches Volk. Vermutlich waren sie keine Litauer. Sie sind ziemlich
sofort nach ihrem ersten Auf�treten in der Geschichte aus unserm Gesichtskreis
verschwunden, und ihr Gebiet wird Wildnis.