Eine schlesische Trag�die
Erst als die Sowjets anr�cken, darf die Zivilbev�lkerung die "Festung
Breslau" verlassen, ein Todesmarsch durch Schnee und Eis
Von Guido Knopp
In den ersten Kriegsjahren war das Leben in Breslau kaum beeintr�chtigt
worden. Nur einmal, im November 1941 - russische Bomberpiloten schienen
sich verirrt zu haben - starben bei einem Luftangriff zehn Menschen.
Neidvoll blickte das gesamte Reich auf den "Luftschutzkeller
Deutschlands". Aus den St�dten im Westen, die bereits unter den
Bombenangriffen der Briten und Amerikaner zu leiden hatten, wurden viele
Menschen nach Breslau und in die Provinz Niederschlesien evakuiert. So
war Breslau allm�hlich zur Millionenstadt angewachsen.Im August 1944
erkl�rte Hitler Breslau in einem Geheimbefehl zur "Festung". Starke
feindliche Angriffs- und Belagerungskr�fte sollten gebunden werden, um
den Vormarsch der Roten Armee auf die Reichshauptstadt so lange wie
m�glich aufzuhalten - ein Todesurteil f�r viele historische St�dte im
Osten, wie K�nigsberg, Kolberg, Glogau oder Breslau. Sie wurden geopfert
in einem l�ngst verlorenen Krieg, damit Berlin als Zentrum der Macht
noch !
l�nger leben konnte.Dass Breslau alles andere war als eine "Festung",
schien den NS-Diktator nicht zu interessieren. Es gab nichts, womit man
die Metropole wirkungsvoll h�tte verteidigen k�nnen. Als Ende September
1944 Generalmajor Krause als erster Festungskommandant die Stadt
inspizierte, mangelte es an allem: an Fernmeldeverbindungen, Logistik,
Lazaretten, Luftschutz, M�glichkeiten zur Luftversorgung,
Betriebsstoffen, Waffen, Munition, vor allem aber an Truppen.Die
Breslauer, die zun�chst nichts von den Festungspl�nen erfahren sollten,
sp�rten seit Herbst 1944, dass sich etwas ver�nderte: "In das uns so
vertraute Stra�enbild, in unser h�usliches Leben, begann sich etwas
Fremdes einzuschleichen. Wir sahen Rinderherden, die zum Schlachthof
getrieben wurden. Man sah Lkw-Kolonnen, die geheimnisvolle, mit Planen
verdeckte Ladungen transportierten. Andere Lastautos bef�rderten Kisten
und S�cke mit Lebensmitteln, die in Kellern untergebracht wurden", so
die Schilderungen des polni!
schen Arztes Stefan Kuczynski, der seit dem Ersten Weltkrieg in Breslau
lebte.Festungskommandant Krause schlug Gauleiter Karl Hanke bereits im
Dezember 1944 vor, die Breslauer Zivilbev�lkerung evakuieren zu lassen.
Doch Hanke lehnte strikt ab. Da er den Glauben an den Sieg - und zwar
noch vor der Stadtgrenze - so lange wie nur irgend m�glich
aufrechterhalten wollte, lie� er erst am 17. Januar 1945 s�mtliche in
der Stadt stationierten Ersatztruppenteile in Alarmbereitschaft
versetzen. Jetzt musste alles ganz schnell gehen. Fronturlauber auf der
Durchreise, versprengte und anderweitig verf�gbare Soldaten fasste das
Festungskommando in vier Regimentern zusammen. Zus�tzlich verst�rkt
durch den "Volkssturm", das letzte Aufgebot der 16- bis 60-J�hrigen,
stand schlie�lich eine improvisierte Streitmacht von 50.000 Mann bereit.
Gegen eine vielfache �bermacht.Die Evakuierung kam im denkbar
ung�nstigsten Moment. Die ersten Trecks vom Land erreichten die
schlesische Hauptstadt am 20. Janu!
ar. Bei schneidender K�lte �berquerten Alte, Kranke, Frauen und Kinder
im Schritttempo die Oderbr�cken. Die Stadt f�llte sich mit Fl�chtlingen.
Nur wenige Bewohner hatten Breslau bereits verlassen, in v�llig
�berf�llten Z�gen nach Sachsen, Bayern und Berlin. Nun begann der Exodus
von �ber 600.000 Menschen.Auf dem "Freiburger Bahnhof", dessen Gleise in
den Westen f�hrten, dr�ngten sich am 20. Januar Tausende Menschen. Es
kam zu einer Massenpanik. "Der Bahnsteig war kaum zu betreten, weil die
Massen sich nur so reinw�lzten. Kinder wurden �berrollt und zertreten.
Ein Eisenbahner erz�hlte mir: ,Gestern haben sie 24 Kinder hier
weggeholt, tote Kinder.' Sie waren einfach auf den Treppen zertrampelt
worden. Es war grausam", erinnert sich Hans-Joachim Terp.Trotz der
vielen langen Trecks, die sich langsam aus der Stadt qu�lten, hielten
sich noch hunderttausende Zivilisten in Breslau auf. Und immer noch
dr�ngten neue Fl�chtlinge nach. Hanke musste handeln, wollte Platz
schaffen f�r die !
gro�e Entscheidungsschlacht um die Festung - ein Rauswurf ohne
R�cksicht. Die Fl�chtlinge blieben ganz auf sich gestellt. "Pl�tzlich
hie� es: ,Kein Zug mehr f�r Fl�chtlinge, kein Platz mehr in Breslau,
weiterziehen'", erz�hlt Ursula Brauburger. "Aber wohin? Und doch nicht
heute, doch nicht jetzt, wo alle m�de sind, Hunger haben und frieren."Am
20. Januar 1945 und am darauf folgenden Tag t�nte folgende Durchsage aus
den �ffentlichen Lautsprechers�ulen: "Achtung! Achtung! Frauen mit
Kindern begeben sich zum Fu�marsch auf die Stra�e nach Opperau in
Richtung Kanth! Sie sammeln sich auf den Pl�tzen der S�dvorstadt." Bei
20 Grad unter null, eisigem Wind und hohem Schnee sollten sich tausende
M�tter mit Kindern und S�uglingen, mit ihrer letzten Habe, mit
Kinderwagen, Handw�gelchen, Schlitten, Rucks�cken und ohne Versorgung
auf den Weg machen in die kalte Winternacht.Das BDM-M�dchen Vera Eckle
wurde am 22. Januar zu einem "Versorgungseinsatz" abkommandiert. Sie
konnte noch nicht ahnen!
, was sie dort erleben sollte. "Ein Schneesturm tobte, der Schnee lag
meterhoch, es war eiskalt. Die Kinder hatten mehrere Kleider
�bereinander angezogen, stolperten hilflos neben ihren M�ttern her. Hier
eine alte Frau, die kaum atmen konnte, da ein alter Mann auf Kr�cken,
der dauernd ausrutschte, weil es so glatt war. Es war ein f�rchterlicher
Anblick. Dann schrie der Volkssturmmann: ,Raus, los, runter M�dels,
nehmt die Decken mit und sammelt mal die Puppen auf!' - ,Welche Puppen
denn, was meint der?', habe ich mich gefragt. Und in dem Moment bin ich
bereits �ber ein B�ndel vor mir gestolpert. Ich habe es aufgehoben und
es im selben Moment wieder fallen lassen: ,Um Gottes willen, das sind ja
Kinder, Kinderleichen!', habe ich geschrieen. Es war das grauenvollste
Elend, das ich je in meinem Leben gesehen habe."Bei diesen Temperaturen,
ohne Verpflegung, war die �berlebenschance f�r einen S�ugling gleich
null. Die M�tter konnten, dem eisigen Wind ausgesetzt, ihre Kinder kaum
stil!
len. "Ich habe die B�ume an der Chaussee gez�hlt und mich von Baum zu
Baum geschleppt. Frauen sa�en auf ihrem Schlitten und wollten sich
ausruhen. Aber die K�lte trieb sie immer weiter, bis auf die, die
einfach sitzen blieben und mit ihren Kindern erfroren sind." Zeilen
einer Breslauerin an ihre Mutter, in einem Brief vom 29. Januar.
Unz�hlige Male sollten sich solche Szenen in jenen Tagen wiederholen.
Der "Todesmarsch der Breslauer M�tter" kostete lauf inoffiziellen
Sch�tzungen etwa 18.000 Menschen das Leben.F�r viele aus Breslau
Gefl�chtete war die Trag�die noch nicht zu Ende. Dresden nahm im Winter
1945 viele Menschen auf, vor allem aus Schlesien, auch viele Breslauer.
In der Nacht zum 14. Februar verwandelte sich die St�tte der Zuflucht in
ein Flammenmeer. Um 22.10 Uhr brach das Inferno los. Die ersten
todbringenden Zwei-Tonnen-Bomben detonierten in der Stadt. Der Himmel
f�rbte sich blutrot. Brandbomben entfachten in Minuten riesige
Feuersbr�nste, Sprengbomben lie�en die E!
rde erzittern. Viele Stra�enz�ge verwandelten sich in eine Feuerh�lle,
durch die ein orkanartiger Hitzesturm wirbelte, der alles mit sich
riss.Die Breslauerin Hannchen K�hler hat die Bilder heute noch vor
Augen: "Als wir zum Hauptbahnhof kamen, brannte alles lichterloh. Am
Abend zuvor standen dort die ganzen Trecks aus Schlesien, die Planwagen
mit den Pferden und dem ganzen Gep�ck. Die Leute, die im Bahnhof waren,
sind alle verbrannt." Breslau stand dieses Inferno noch bevor.
Das ZDF sendet den dritten Teil der Serie am 4. Dezember um 20.15 Uhr:
"Die Festung Breslau". Das Buch zur Serie, dem unser Text entnommen ist,
erscheint im Econ-Verlag und hei�t "Die gro�e Flucht".
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