Genealogie und Geschichte; Gedenkkultur und Geschichtsinterpretationen

Liebe Familienforscher,

dies vorab. Bitte keine weitere Diskussion über die Liste.
Wir können uns bilateral austauschen.
Und zu den Kritikern. Das Thema steht eben doch in einem zumindest
mittelbaren Zusammenhang mit Familiengeschichtsforschung, auch wenn das in Abrede
gestellt wird.

Keineswegs wollte ich eine erneute Diskussion provozieren.
Die Gegenstimmen zu meinem letzten Listenbeitrag belegen, dass Geschichte unterschiedlich interpretiert, verstanden und bewertet wird. Das aber ist legitim und ist darüber hinaus deshalb normal, weil wir als Individuen unterschiedlich sozialisiert und geprägt sind und verschiedene Bildunggänge
durchlaufen haben.
Weshalb aber erlauben sich Listenteilnehmer, andere nur aufgrund einer Meinungs-
äußerung oder ihnen nicht genehmen Sicht auf die jüngere deutsche Geschichte
verurteilen zu müssen?
Geschichte läßt sich sehr unterschiedlich interpretieren. Weshalb wird das nicht
anerkannt? Einer der Schreiberlinge unterstellt Herrn Braun "braune" Ansichten
bzw. eine Affinität zur "braunen" Diktatur und stellt sogar eine Verbindung
zwischen dem Familiennamen und der (vorgeblichen) "braunen" Anschauung her.
Das ist infam und böse!
Akzeptiert doch einfach die Berechtigung unterschiedlicher und voneinander abweichender
Sichtweisen. Demokratie lebt nicht nur vom und durch den Konsens sondern insbesondere
vom Diskurs.
Ihr aber zementiert Ansichten über den Geschichtsablauf und erhebt euer Welt- und Geschichtbild
zum allein selig machenden Dogma. Schöne Demokraten seid ihr, wahrlich!
Ist Euch nicht klar, dass genau diese Verhaltensweise als faschistisch gebrandmarkt werden
kann bzw. muss?
Einige der Zuschriften bzw. Reaktionen offenbaren darüber hinaus aber leider genau das, was
ich in meinem Beitrag nur andeutete und Anja Klingner lediglich noch einmal bekräftigte.
Leugnung, Verharmlosung, Infragestellung historischer Fakten. Und ich bleibe dabei. Es wird
zum Teil gelogen, dass sich die Balken biegen. Man lese z.B. die vom Wiss. Dienst des sog.
Bundestages 2019 veröff. Arbeit:
In der Dokumentation des Deutschen Bundestages (Wissenschaftliche Dienste, 2019) z.B. werden ohne
näheren Beleg "ca. 154.000" Lagerhäftlinge in den SBZ- Speziallagern genannt.
Das mutet grotesk an. In den Sowjetlagern sind mindestens eine halbe Million Deutsche ermordet
worden! Der überwiegende Teil allerdings in den besetzten preußischen Ostprovinzen.
Qu.: "Zu den Internierungs- und Speziallagern der Alliierten ...", Berlin 2019 (ebda. S. 20).
[Hg.: Deutscher Bundestag, Wiss. Dienst, WD1- 3000- 011/19]

Dümmer geht's nimmer möchte man meinen. Und dieses Elaborat stammt vom Wiss. Dienst des Bundestages!
Nicht nur werden die 28 (achtundzwanzig!) im besetzten Ostdeutschland befindlichen sowj. Konzentrationslager
nicht erfasst (der Begriff "Speziallager stellt lediglich einen Euphemismus dar, der das Ausmaß des
sowj. Terrorapparats marginalisieren soll). Nein, die in diesen Lagern Inhaftierten werden heute gar nicht
mehr zur Kenntnis genommen, sie existieren einfach nicht mehr. Bundesdeutsche Gedenkkultur!!!
Und, ich bleibe dabei, das ist die geschickte Vorgehensweise im BRD- Staat.
Eine Mixtur von Nachrichtenunterdrückung, objektiver Wahrheit, Lüge, Verdrehung, Verzerrung hist. Fakten.
Und dann kommen in dieser Liste hier Leute zu Wort, die mir, der ich mich seit 40 Jahren (!) mit dieser
Thematik intensiv beschäftige und werfen Geschichtsfälschung vor. Leute, Leute, ihr habt doch echt ein Ding
an der Waffel. Tut mir leid, anders bewerte ich Eure auf Unkenntnis und Ignoranz beruhenden Äußerungen
nicht!
Und es ist einfach nicht wahr, was hier in den verg. Tagen zum Teil behauptet wurde.
Aber lassen wir doch einmal neutrale Stimmen zu Wort kommen, keine ideologisch verbildeten und gleichgeschalteten Bundesdeutsche.

Keith LOWE etwa, britischer Historiker. Er legte 2012 ein Aufsehen erregendes Grundlagenwerk vor.
Der wilde Kontinent. Europa in den Jahren der Anarchie 1943- 1950. Stuttgart: J. G. Cotta'ische
Buchhandlung, 2014.
International fand das Buch vielbeachtete Aufmerksamkeit, wurde ungezählte Male rezensiert.
Im BRD- Staat weithin peinliches Schweigen. Kein Thema für das Fuilleton! Weshalb auch!
Ian Kershaw urteilte: Keith Lowes exzellentes Buch malt ein wenig bekanntes und erschreckendes Bild
eines Kontinents in den Fängen von Gesetzlosigkeit, Chaos und Gewalt".
Und einige der Naivlinge meinen wohl wirklich, am 8. Mai 1945 sei ein Schalter umgelegt worden und
ein Zeitalter des Friedens hätte Einzug gehalten ... Das Gegenteil war der Fall.
Ganz abgesehen von den 1945 ff. geführten Kriegen der "demokratischen" Mächte.
Im SPIEGEL fand sich immerhin folgende Rezension zum Werk von Keith Lowe:
"Keith Lowe räumt mit der Vorstellung auf, dass mit dem Sieg über Hitler- Deutschland der Kontinent
sein neues ziviles Leben begann ... Die unmittelbare Nachkriegszeit war politisch komplexer ..."
Und am besten folgende Einschätzung, die den Nagel auf den Kopf trifft:
"Man kann aus seinem aufwühlenden Buch lernen, was uns im Verhalten wie im Urteil vorsichtiger machen
sollte: Opfer können zu Tätern werden. Und jene, die keine Täter waren, werden zu Opfern von zu Tätern
gewordenen Opfern." [Erhard Schütz, Der Freitag].

Im BRD- Staat gibt es demgegenüber heute nur noch eine eindimensionale Gedenkkultur, eine selektive
Wahrnehmung von Tätern und Opfern und entsprechendes Gedenken.
Ende 1945 befanden sich europaweit und in den besetzten Zonen insgesamt 3,2 Mill. Deutsche in Internierungs-, Spezial- und Haftlagern.
Und noch 1947 befanden sich 4,5 Mill. als Zwangsarbeiter in der Hand der Kriegssieger.
[Qu.: John Dietrich: The Morgenthau Plan: Soviet Influence on American Postwar Policy, 2002, ebda. S. 123]
Wem diese hier genannten Zahlen nicht in den Kram passen mag mich bilateral kontaktieren.
Dann übermittle ich ggf. meine eigenen Beiträge zu diesem gesamten Themenkomplex und übersende
darüber hinaus auch sehr gerne Quellenverzeichnisse und Literaturlisten.

Nur bitte, bitte, haltet Euch doch mit Euren dümmlichen Listenkommentaren zurück.
Ihr könntet ja auch die bilaterale Entgegnung wählen.

Dessen ungeachtet verbleibe ich mit freundlichen Grüßen aus dem niedersächs. Ostfalen,
Thomas Engelhardt, Ilsede, Krs. Peine (bis 1986 Dresden, Anerkennung als ehem. polit. Häftling
des DDR- Systems und 1988 Inhaber des Flüchtlingsausweises C).

Herr Engelhardt,

Sie werfen (teilweise zu Recht) einigen Diskutanten Entgleisungen vor. Und antworten dann mit eigenen Entgleisungen. Auch wahre Fakten werden diskreditiert durch solche Diskussionbeiträge.

Jan Escholt

Hallo,

   diese Liste ist eine Mailingliste zum Thema Familienforschung! Da meine
   Vorfahren recht umtriebig waren, bin ich in mehreren Mailinglisten
   angemeldet. Ich erlebe es daher leider nicht zum ersten Mal, dass
   Mailinglisten zur politischen Agitation missbraucht werden. Das halte
   ich schon lange nicht mehr fuer einen Zufall, sondern denke das hier
   das passiert, was in anderen Teilen des Internets auch passiert, dass
   insbesondere die Rechtsextremen ganz gezielt in nichtpolitischen Foren
   versuchen ihre Ansichten zu verbreiten. Gerne wird dabei so getan, als
   praesentiere man ja nur belegbare Fakten. Sofern es tatsaechlich
   belegbare Fakten sind, beschraenkt man sich naturgemaess nur auf die
   Fakten die ins eigene rechte Weltbild passen. Man versucht sich den
   Anstrich von Wissenschaftlichkeit zu geben, argumentiert aber absolut
   unwissenschaftlich, in dem man einzelne Fakten aus dem historischen
   Kontext reisst oder einfach nicht belegte Behauptungen auftstellt. Wird
   auf das eigentliche Thema der Liste, naemlich auf Familienforschung
   hingewiesen, wird auf Meinugsfreiheit gepocht.

   Da dies bei den Mailinglisten des Vereins fuer Computergenealogie nicht
   zum ersten Mal auftritt, hatte ich eigentlich gehofft, dass man
   mittlerweile eine Strategie hat und rechtzeitig Massnahmen ergreift, um
   politische Agitation in den Mailinglisten zu unterbinden. Ich
   jedenfalls moechte nicht einer Mailingliste angehoeren in der rechtes
   Gedankengut verbreitet wird mit typischen rechten Argumentationen wie
   die Regierung und die Medien beluegen bewusst und gezielt das Volk. Und
   nein, wenn man auf die in einer Mailingliste geltenden Spielregeln
   verweist, naemlich sich auf das Thema Familienforschung zu
   beschraenken, ist das keine Zensur und keine Einschraenkung der
   Meinungsfreiheit.

   Wir leben nicht in einem perfekten Staat, aber dies ist ein freies
   Land, eins der freiesten auf dieser Welt, zumindest das freiheitlichste
   und rechtsstaatlichste Staatswesen was bisher auf deutschem Boden
   existiert hat. Wer seine politische Meinung aeussern moechte kann das
   tun, er kann auch fuer seine politischen Ueberzeugungen werben. Dafuer
   gibt es unzaehlige verschiedene Moeglichkeiten und Orte. Eine
   Mailingliste fuer Familienforschung ist kein solcher Ort!

   Sollte diesem rechten Treiben von Seiten des Betreibers dieser Liste
   weiterhin tatenlos zugesehen werden, sehe ich fuer mich nur die
   Moeglichkeit die Liste zu verlassen.

   Mit sehr nachdenklichen Gruessen

   Detlef Holstraeter

Hallo,

Sie können doch einfach die Filterfunktion ihres Mailprogramms nutzen, statt Vorgaben für alle zu fordern?

Freundliche Grüße

albrecht

Sehr geehrter Herr Engelhardt,
Ich antworte ganz bewusst über die Liste - Ihre getroffenen Aussagen darf man so nicht stehen lassen.

In Ihrer Mail unterstellen Sie mir und anderen Kommentatoren, dass wir Ihre Sicht nicht gelten lassen willen, weil ja Geschichte unterschiedlich interpretiert werden kann. Niemand will Ihnen Ihre Meinung nehmen, Sie müssen, wenn sie die öffentlich äußern, aber auch mit Widerspruch leben. Das gehört zum offenen Meinungsaustausch unsere Demokratie.
Allerdings gibt es, wie in jeder sozialen Gemeinschaft, Grenzen, die gesetzt sind. Dazu gehört, dass wenn wir die Geschichte nach 1945 betrachten eben immer, dass der deutschen Niederlage im Zweiten Weltkrieg ein von Deutschland begonnener Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion und fast alle europäischen Staaten begonnen wurde. In diesem Krieg wurden von deutscher Seite unzählige Verbrechen sowohl gegen Bevölkerung der besetzten Länder begangen. Diese Verbrechen wurden nach dem Krieg in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen als das gebrandmarkt, was sie waren: Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Sie dagegen polemisieren ausschließlich über die Verbrechen der Alliierten an der deutschen Bevölkerung. Diese gab es, darüber muss man nicht streiten, geschweige denn „Leugnung, Verharmlosung, Infragestellung historischer Fakten“ unterstellen. Sie selbst haben ja den wissenschaftlichen Dienst des Bundestages erwähnt (warum bezeichnen Sie den eigentlich als „sogenannten Bundestag“?), der sich mit dem Thema auseinandergesetzt hat. Daneben gibt es zahllose Dokumentationen, selbst TV-Movies zur besten Sendezeit, die z.B. die Flucht und das Leid der deutschen Bevölkerung vor der Roten Armee thematisieren. Hier so zu tun, als würde das verschwiegen oder verharmlost, ist schlichtweg falsch. Möglicherweise passt es nicht in Ihr persönliches politisches Weltbild, aber eine Auseinandersetzung mit diesen Verbrechen findet hier auf vielen Ebenen (staatlich, kommunal, Jugendaustausch etc.) statt.
Es ist ebenso falsch von Ihnen zu behaupten, niemanden interessieren die ehemaligen sowjetischen Speziallager nicht mehr. Ich kann Ihnen nur empfehlen, fahren Sie einfach an die Gedenkorte. In ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald wurde eine komplett neue Ausstellung zu diesem Thema aufgesetzt. Ebenso gibt es an vielen Stellen Gedenktafeln, die daran erinnern, so z.B. in Mühlberg (Speziallager 1) oder Jamlitz (Speziallager 6). Manchmal kann sogar das (wissenschaftlich nicht fundierte, aber aufschlussreiche) Wikipedia Ihnen hier weiterhelfen.

Es mutet am Ende Ihrer Mail schon grotesk an, wenn Sie von "eindimensionaler Gedenkkultur, einer selektiven
Wahrnehmung von Tätern und Opfern und entsprechendem Gedenken“ fabulieren. Damit verlassen Sie endgültig jedweden historischen Disput und machen sich die Narrative rechtspopulistischer Parteien zu eigen, die ebenfalls versuchen, eine Täter-Opfer-Umkehr in und nach dem Zweiten Weltkrieg herbeizureden. Hier widerspreche ich nicht nur als (Hobby-)Historiker, sondern auch als Bürger der Bundesrepublik, der die Freiheiten und die demokratischen Prozesse dieses Staates seit 30 Jahren genießen darf. Wir sind es den Opfern, denen der nationalsozialistischen Diktatur wie auch den Opfern von Flucht und Vertreibung, schuldig, immer zunächst die Ursachen zu benennen. Und die sind nicht bei den alliierten Militäradministrationen zu finden sondern liegen im Deutschland von 1933-1945.
Unser Konsens muss es sein, dass sich dies nie wiederholt.

Und sollte Ihnen dieser „dümmliche Listenkommentar“ nicht gefallen, können Sie mir gern direkt antworten. Aber Ihre, sorry für den Begriff, Geschichtsklitterung und Ablehnung der Bundesrepublik darf in einer öffentlichen Liste in Deutschland nicht unbeantwortet bleiben.

Mit freundlichen Grüßen
Thomas Matschke

Hallo,

"Sie können doch einfach die Filterfunktion ihres Mailprogramms nutzen, statt Vorgaben für alle zu fordern? "

nee, nee ...

"diese Liste ist eine Mailingliste zum Thema Familienforschung!"

" Sollte diesem rechten Treiben von Seiten des Betreibers dieser Liste
weiterhin tatenlos zugesehen werden, sehe ich fuer mich nur die
Moeglichkeit die Liste zu verlassen."

Geht mir auch so ...

Viele Grüße

Herbert Henkel

Sehr gut geantwortet