FAZ: Merkels schwierige Reise nach Polen

Harte Landung
Merkels schwierige Reise nach Polen - und ein guter Start

Von Eckart Lohse

Warschau. Angela Merkel landet unsanft in der deutsch-polnischen
Wirklichkeit. Das liegt an Theodor Heuss, der eine Vollbremsung machen muß.
Denn er, beziehungsweise das auf seinen Namen getaufte Kanzlerflugzeug, wäre
fast am roten Teppich vorbeigerollt, weil die Einweiser am Boden in Warschau
ihre Signale so spät gegeben haben. Diejenigen im Troß der Kanzlerin, die so
unvorsichtig waren, sich schon abzuschnallen und aufzustehen, werden nach
vorne geschleudert, stürzen, drücken die Lehnen der Vordersitze herab.
Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier sind zu ihrem
Antrittsbesuch in Polen eingetroffen. Es ist Freitag nachmittag.

Die Gäste haben nur wenige Stunden Zeit mitgebracht. Als erster empfängt sie
Lech Kaczynski, der Sieger der Präsidentenwahl in Polen, der sein Amt am 23.
Dezember von Vorgänger Aleksander Kwasniewski übernehmen wird. Im Gästehaus
des polnischen Außenministeriums sitzen Kaczynski und Merkel an einem mit
grünem Tuch bespannten Tisch. Nur ein Gesteck mit violetten Tulpen trennt
die beiden.

Tatsächlich steht mehr zwischen diesen Politikern. Als Merkel wenige Wochen
vor der Bundestagswahl, am 16. August, zu Besuch in Polen war, kam es nicht
zu einer Begegnung mit Kaczynski, der der patriotisch gesinnten Partei Recht
und Gerechtigkeit (PiS) angehört, sondern nur mit dem Kandidaten der
Bürgerplattform, Donald Tusk. Der hatte damals noch Chancen, zum Präsidenten
gewählt zu werden, was Merkel vermutlich gern gesehen hätte. Tusk, dessen
Partei wie die CDU zur Gruppe der Europäischen Volkspartei gehört, und
Merkel haben im Lauf der vergangenen zwei Jahre ein gutes Verhältnis
aufgebaut. Kaczynski und seine PiS haben Tusk im Wahlkampf angegriffen -
wegen seines deutschen Großvaters, der bei der Wehrmacht war. Später an
diesem Freitag wird Merkel Tusk treffen, auch wenn man das im Lager der PiS
nicht so gern sieht. Auf eine Journalistenfrage, ob das nun zur Gewohnheit
werden solle, daß sie auch die Opposition treffe, entgegnet die Kanzlerin,
sie sei selbst sieben Jahre in der Opposition gewesen und habe immer die
Regierenden anderer Länder getroffen.

Demnächst-Präsident Kaczynski beginnt mit einem zwanzigminütigen Monolog
über die Finanzplanung der Europäischen Union, über die geplante Gaspipeline
von Rußland nach Deutschland und über das Zentrum gegen Vertreibungen.
Letzteres ist für die polnische Seite das vielleicht nicht wichtigste, wohl
aber das mit den meisten Emotionen behaftete Thema. Ein solches Zentrum, wie
es vor allem der Bund der Vertriebenen einrichten will, wird von Polen
strikt abgelehnt.

Angela Merkel schlägt nun in Warschau vor, daß der deutsche
Kulturstaatsminister und der polnische Kulturminister auf der Basis der
Erklärung Kwasniewskis und des ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau den
Dialog zu diesem Thema fortsetzen sollen. Kaczynski macht im Gespräch mit
seinen Gästen nicht deutlich, ob er diese Idee mitträgt.

Der neue polnische Ministerpräsident Marcinkiewicz und auch Außenminister
Meller geben hingegen zu erkennen, daß sie sich mit diesem Vorgehen
anfreunden können. Als die Bundeskanzlerin und der Ministerpräsident nach
ihrem Gespräch am Amtssitz des Gastgebers vor die Öffentlichkeit treten,
wird das Thema Vertreibung gar nicht ausdrücklich erwähnt. Marcinkiewicz
hebt vielmehr auf das Gemeinsame ab. In beiden Ländern seien in jüngster
Zeit neue Regierungen ins Amt gekommen, und nun könnten beide Länder auch
ein neues Kapitel in ihren Beziehungen öffnen.

Bei seinem Auftritt mit Merkel bezeichnet der Ministerpräsident als
"wichtigstes Problem" die Einigung über die europäische Finanzplanung.
Gastgeber und Gäste schauen mit Spannung auf den Vorschlag der britischen
Ratspräsidentschaft, der für den Montag erwartet wird. Bleibt als drittes
Thema die russisch-deutsche Gaspipeline, die durchs Meer an Polen vorbei
errichtet werden soll. Schon in den Tagen vor dem Besuch der Kanzlerin war
auf polnischer Seite die Einschätzung zu hören gewesen, die Pipeline sei ein
"krasses Beispiel" dafür, daß die Beziehungen Deutschlands zu Rußland
bisweilen auf Kosten Polens gingen. Auch hier bringt der Kurzbesuch zwar
keine konkrete Einigung. Aber immerhin einen Vorschlag. Merkel regt an,
hierzu eine Arbeitsgruppe zu gründen. Daß die Leitung kommen wird,
bezweifelt in der Bundesregierung niemand.

Nach sechs Stunden sind Kanzlerin und Außenminister schon wieder am
Flughafen. Nun wissen beide genauer, mit wem sie es zu tun haben. Wie hatte
Merkel nach ihrem Gespräch mit dem Ministerpräsidenten gesagt? Es gebe die
feste Bereitschaft, über alles zu reden. Der Start der Theodor Heuss ist
tadellos.

Quelle: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 04.12.2005, Nr. 48 / Seite 6