Briefe an den Herausgeber, FAZ 22.10.2001
Geregeltes Eigentum evangelischer Kirchenbücher
Zum Artikel "D steht für Danzig" (F.A.Z. vom 17. September): Die Diskussion auf dem 72. Deutschen Archivtag in Cottbus und Anfragen im Evangelischen Zentralarchiv in Berlin, ob die evangelische Kirche dem Beispiel der katholischen Kirche folgen werde und die von ihr verwahrten Kirchenbücher aus den historischen deutschen Ostgebieten an polnische Einrichtungen abgeben werde, veranlassen mich, noch einmal die Stellung der evangelischen Kirche darzustellen: In der evangelischen Kirche ist die Kirchengemeinde Eigentümerin ihrer Kirchenbücher. Sie ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Die evangelischen Kirchengemeinden in den östlich von Oder und Neiße gelegenen Kirchenprovinzen der damaligen Evangelischen Kirche der altpreußischen Union sind durch die Vertreibung der Gemeindeglieder untergegangen. Mit Ausnahme der Kirchenprovinzen Pommern und Schlesien sind auch die dort gelegenen Kirchenprovinzen mit ihren Leitungsorganen untergegangen, so daß die Landeskirche, die damalige Evangelische Kirche der altpreußischen Union, die Rechtsnachfolgerin des Eigentum der Kirchengemeinden geworden ist. Für die Evangelische Kirche der Union, der Rechtsnachfolgerin der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union, hat das Kammergericht in Berlin 1910 dies für das in der Bundesrepublik gelegene Eigentum der untergegangenen Gemeinden festgestellt, Damit ist das Eigentum an diesen Kirchenbüchern in der Bundesrepublik Deutschland eindeutig geregelt, so daß keine Ansprüche auf sie erhoben werden können, wie es die Konferenz der polnischen katholischen Bischöfe für die 3361 - nicht 3661 - Kirchenbücher getan hat, die derzeit im Bischöflichen Zentralarchiv Regensburg aufbewahrt werden.
Auf dem Archivtag in Cottbus wies Dr. Michael Silagi vom Institut für Völkerrecht der Universität Göttingen darauf hin, daß nach der Staatennachfolgekonvention von 1983, die allerdings bisher nur von fünf Staaten angenommen wurde und deshalb noch nicht in Kraft getreten ist, bei der Vertreibung der Mehrheit der Bevölkerung das Territorialprinzip für Archivgut durch das personale Herkunftsprinzip ersetzt wird. Er kam zu der Schlußfolgerung, daß nach dieser völkerrechtlichen Auffassung die Einrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland das Recht haben, von Polen die Herausgabe des von deutschen Einrichtungen stammenden Archivgutes zu verlangen.
Dr. Hartmut Sander,
Evangelisches Zentralarchiv, Berlin