Breslau Scheitniger Park

Liebe Listies,

in der vergangenen Woche ging doch das Thema Scheitniger Park über die Liste. Ich habe dazu zufällig den nachstehenden Artikel in der Verfilmung der Breslauer Neueste Nachrichten gefunden. Vielleicht interessiert es ja den einen oder anderen.

Breslauer Neueste Nachrichten, Montag, 16.02.1925:

Scheitniger Park und Messehaus, von Fritz Krause, Mitglied des Prov.-Landtages und des Prov.-Ausschusses.

Mit anerkennenswerter Zähigkeit ist nicht allein aus privaten Kreisen, sondern auch von amtlichen Stellen in den letzten Jahren immer wieder darauf hingewirkt worden, den Einwohnern Breslaus die Umgegend der Stadt zum Aufenthalt in Gottes freier Natur mehr als bisher zu erschließen. Man ging dabei von dem unanfechtbaren Grundsatz aus, die sog. „Lunge der Großstadt“ könne zur Erfüllung ihrer überaus bedeutsamen Aufgabe nicht leistungsfähig genug gestaltet werden, um der tagein, tagaus in großen Massen eng zusammengeballten werktätigen Bevölkerung, insbes. Auch den ständig an das Zimmer gebundenen Kopfarbeitern, weitgehendste Möglichkeiten in gesundheitserhaltendem und gesundheitsförderndem Sinne zu bieten. Die unbedingte Notwendigkeit derartiger Bestrebungen tritt um so mehr in Erscheinung, als Breslau unter den deutschen Großstädten hinsichtlich des allgemeinen Gesundheitszustandes, der Säuglings- u. Tuberkulosesterblichkeit sowie der Gesamtsterblichkeitsziffer prozentual recht ungünstig abschneidet. Alle zur Beseitigung oder wenigstens zur Abschwächung dieser traurigen Tatsache eingeschlagenen Wege haben den gewünschten Erfolg leider nicht gezeitigt, weil es noch nicht zu erreichen gewesen ist, dass Breslau – wie viele andere Großstädte – über einen billigen und zeitlich günstigen Vororts-Eisenbahnverkehr verfügt.

Es ist deshalb mehr als verständlich, dass die Bevölkerung mit jeder Faser ihrs Herzens an den Grünflächen und an den parkartigen Waldbeständen hängt, die innerhalb und an den Grenzen der Stadt liegen. Mit der Schaffung dieser Anlagen hat sich die städtische Gartenverwaltung ein unauslöschliches Verdienst erworben. Sonntags wie wochentags strömen ungeheure Scharen abgearbeiteter Menschen in diese natürlichen Erholungsstätten, um frische Kraft und neue Schaffensfreude zu schöpfen.

Und nun besteht die Gefahr, dass ein Teil des Scheitniger Baumbestandes dem Messehaus zum Opfer fällt! Nachdem das Gebäude einmal da ist, erscheint es müßig, gegenwärtig noch einen Streit über seine architektonische Ausgestaltung, über die künstlerische Bedeutung oder gar über die Notwendigkeit der Errichtung überhaupt auszutragen. Die verschiedenen Interessentengrupen sind dieserhalb geteilter Meinung und werden es immer bleiben. Was aber den Bau selbst betrifft, so kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die Breslauer Bevölkerung schon aus wirtschaftlichen Gründen die unausgesetzten Bemühungen aller beteiligten Stellen zur Herbeiführung des Ansehens als „Messestadt“ grundsätzlich unterstützen muß. Auf der anderen Seite dürfen jedoch keinesfalls die dringendsten Bedürfnisse breiter Volksschichten außer acht gelassen werden. Niemals lässt sich Natur durch Kunst ersetzen! Und da dem so ist, gewinnt jeder Baum und jeder Strauch in der Nähe des Messegeländes, der etwa beseitigt werden soll, an Wert. Ganz besonders gilt das von den in erster Linie betroffenen, fast immer grünen „KÖNIG-WILHELM-ANLAGEN“ mit ihrem zum Teil über 50 Jahre alten Holzbestand. Ihn ganz oder teilweise zu entfernen, damit unter Umständen eine hectanetere Zufahrtsstraße zum Messegelände oder ein freierer Durchblick vom Torbogen des Messehauses aus auf die Jahrhunderthalle gewonnen erde, ist eigentlich mit der schmerzlichste Gedanke im Widerstreit der Meinungen über das ganze Projekt. Wenn die ohnehin mehr oder weniger ausgeprägte Abneigung gegen das nunmehr unmittelbar vor der Vollendung stehende Bauwerk nicht noch wachsen, ja wenn selbst die ihm von verschiedenen Seiten sicherlich entgegengebrachte wohlwollende Beurteilung nicht ins Gegenteil umschlagen soll, dann verschone man die Parkanlagen unbedingt vor dem grausamen Zerstörungswerk von Axt und Spaten.

Die städtische Gartenverwaltung, die sich mit mütterlicher Sorgfalt im Rahmen ihrer Aufgaben betätigt, möge jedenfalls in den schwebenden Verhandlungen stark bleiben und auch ihrerseits nachdrücklich mit schützender Hand über die Naturschönheiten des Scheitniger Parkes in seiner Gesamtheit wachen!

Liebe Gruesse aus Broeckel

Sabine (Brandes geb. Stolper)