Befreiung vom 3. Grad

Hallo,
   kann mir jemand kurz erklᅵren, was in einem Heiratseintrag (katholisch
   in Urspringen 1796) "Befreiung vom 3. Grad" bedeutet. Habe die
   Vermutung, dass es irgendetwas mit Verwandtschaft zu tun hat, kann es
   mir aber anhand der derzeitigen Daten nicht erklᅵren.
   Vielen Dank
   Sylvia (Mᅵller)

Liebe Frau Möller,

es gibt im wesentlichen 2 Systeme von Verwandtschaftsgraden.

Der Unterschied beider Systeme:

1. Das germanische oder kanonische Recht (welches bis 1983 von der
katholischen Kirche angewendet wurde) berechnet die Entfernung der in Frage
stehenden Personen von einem gemeinsamen Stammvater aus, wobei der
Verwandtschaftsgrad durch Zählung der Generationen auf den ersten
gemeinsamen Stammvater bestimmt wird. Die Langobarden zählen den Stammvater
selbst mit, wie es dem lateinischen Brauch entspricht. Die salischen Franken
beginnen mit den Geschwistern, die ribuarischen erst mit den
Geschwisterkindern als erstem Grad.

2. Das römische Recht (welches für das Bürgerliche Gesetzbuch [BGB,
§§1589, 1590] angewendet wird und seit 1983 auch in der katholischen Kirche
gilt) zählt die zwischen 2 Personen liegenden Geburten. Der Gesetzgeber
unterscheidet in gerader Linie und in Seitenlinie. Von der geraden Linie
spricht man nur, wenn die Verwandtschaftsbeziehung in einer Geraden verläuft
(im Sinne von Vater-Großvater-Urgroßvater). Sonst spricht man von der
Seitenlinie.

Beispiel:
Nach germanischem Recht ist man mit der Cousine 2. Grades im 3. Grad
blutsverwandt, während nach dem römischen Recht und dem BGB beide Personen
im 6. Grad in der Seitenlinie verwandt sind. Seitenlinie heißt es deshalb,
weil sie eben nicht in gerader Linie verwandt sind, dies sind sie lediglich
hinsichtlich des Stammvaters (hier Urgroßvater), und zwar, wie in der
Zählweise des germanischen Rechts, die Ausgangsperson A (ich) im 3. Grad und
die Person B (Cousine 2. Grades) ebenfalls im 3. Grad.

Im Gegensatz zu konkreten Verwandtschaftsbezeichnungen (Vater, Mutter,
Schwester, Bruder, Tante, Urgroßonkel usw.) gibt die Bezeichnung nach Graden
aus sich heraus Auskunft über die Verwandtschaftsnähe. Der Begriff des
Verwandtschaftsgrades dient besonders in der Genealogie, der Medizin (etwa
bei der Erforschung von Erbkrankheiten) und der Rechtswissenschaft (z.B. bei
den Regeln über das Zeugnisverweigerungsrecht oder den Ausschluß von der
Ausübung des Richteramtes) der abstrakten Bezeichnung von
Verwandtschaftsbeziehungen einzelner Personen. Im Erbrecht hingegen wird die
Verwandtschaftsbeziehung nach Ordnungen gegliedert.

Das Gesetz unterscheidet folgende Ordnungen (Bezeichnung der Verwandtschaft
im Beispiel immer aus der Sicht des Erblassers):

1. Ordnung: Abkömmlinge des Erblassers (sämtliche vom Erblasser
abstammende Personen, also Kinder, einschließlich der nichtehelichen und der
adoptierten Kinder, Enkel, Urenkel etc.)

2. Ordnung: Eltern des Erblassers und deren Abkömmlinge (Vater, Mutter,
Bruder, Schwester, Neffe, Nichte, Großneffe, Großnichte usw.)

3. Ordnung: Großeltern des Erblassers und deren Abkömmlinge (Großvater,
Großmutter, Onkel, Tante, Cousin, Cousine usw.)

4. Ordnung: Urgroßeltern des Erblassers und deren Abkömmlinge
(Urgroßvater, Urgroßmutter, Großonkel, Großtante usw.)

5. und fernere Ordnungen: entferntere Voreltern des Erblassers und
deren Abkömmlinge.

Grundlegend nach dieser formalen Unterscheidung ist das Ordnungssystem.
Danach ist ein Verwandter nicht zur Erbfolge berufen, wenn ein Verwandter
der vorhergehenden Ordnung vorhanden ist. Also schließt z.B. ein Kind (1.
Ordnung) alle anderen Verwandten aus.

Die Verwandtschaftsberechnung spielt bei Heiraten und Erbschaften eine
bedeutende Rolle. Aus den ungleichen und wechselnden Auffassungen der
Verwandtschaftsgrade im Erbrecht entstanden größere und weiter wirkende
Konflikte. Daher ist die Kenntnis von den Verwandtschaftsgraden sehr
wichtig. Ebenso unerläßlich ist es eine Aussage zu machen, nach welcher
Zählweise die Angabe des Verwandtschaftsgrades abgeleitet ist!

Die römisch-katholische Kirche übernahm das Verbot der Verwandtenehen und
bestimmte als Grenze den 7. Grad nach römischer Zählung, ging aber bald zur
langobardischen über, wo dann der 3. oder 4. Grad die Grenze bildete.

Das kanonische Recht bestimmt seit 1983:

- Blutsverwandtschaft wird berechnet nach Linien und Graden. (Canon
108, §1).

- In der geraden Linie gibt es so viele Grade wie Zeugungen bzw. wie
Personen, nach Abzug des Stammhauptes. (Canon 108, §2).

- In der Seitenlinie gibt es so viele Grade wie Personen in beiden
Linien zusammen, nach Abzug des Stammhauptes. (Canon 108, §3).

- Vom Hindernis der Blutsverwandtschaft in der geraden Linie oder im
2. Grad der Seitenlinie gibt es niemals Dispens. (Canon 1078, §3).

- In der geraden Linie der Blutsverwandtschaft ist die Ehe ungültig
zwischen allen Vorfahren und Nachkommen, ob ehelichen oder nichtehelichen.
(Canon 1091, §1).

- In der Seitenlinie ist die Ehe ungültig bis zum vierten Grad
einschließlich. (Canon 1091, §2).

- Das Hindernis der Blutsverwandtschaft wird nicht vermehrfacht.
(Canon 1091, §3).

- Eine Eheschließung darf niemals gestattet werden, wenn ein Zweifel
darüber besteht, ob die Partner in irgendeinem Grad der geraden oder im
zweiten Grad der Seitenlinie blutsverwandt sind. (Canon 1091, §4).

- Die Schwägerschaft in der geraden Linie verungültigt die Ehe in
allen Graden. (Canon 1092).

- Der Richter darf in keinem Rechtsstreit tätig werden, an dem er
aufgrund von Blutsverwandtschaft oder Schwägerschaft in der geraden Linie
und bis zum 4. Grad der Seitenlinie, ferner aufgrund von Vormundschaft oder
Pflegschaft, freundschaftlichem Verkehr, feindlicher Einstellung, Erwartung
eines Gewinns oder Vermeidung eines Verlustes irgendwie persönlich
interessiert ist. (Canon 1448, §1).

Die Anpassung war 1983 erforderlich geworden, weil sich außerhalb des
Kirchenrechtes die römische Zählung durchgesetzt hatte. In der Vergangenheit
war es aufgrund der unterschiedlichen Zählweise wiederholt zu
Mißverständnissen gekommen.

In Ihrem Fall handelt es sich sicherlich um eine Heirat mit einer Cousine 1.
Grades, mit der man die Hälfte der Vorfahren (Großeltern väterlicher- oder
mütterlicherseits) teilt.

Es handelte sich somit um das langobardische Ordnungssystem.

Mit den besten Wünschen

Dr. Ralf G. Jahn
Historiker & wissenschaftlicher Genealoge

Von Interesse k�nnte die Begr�ndung sein: weil Gott die Welt in 7 Tagen
schuf.

Dietger