ich habe ebenfalls oft die Bezeichnung "Nachbar und Einwohner allhier"
bei meinen Recherchen in Sachsen gefunden.
Die entsprechende Person wohnte in der Altstadt von Borna, zur der Zeit ein
eigenständiger Ort aber ohne eigene Kirche.
Somit waren alle kirchlichen Aktivitäten in der Stadt Borna auszuführen
und deshalb wurden die "Altstädter" als Nachbarn bezeichnet.
Vielleicht ist es ja bei dir ähnlich.
Das Kirchspiel Kulm Land umfasst alle kleinen Orte in ca. 25 km Umkreis rund um die Stadt Kulm (außer Kulm selbst).
Die Bezeichnung Nachbar taucht sowohl bei den Taufen, als auch bei Eheschließungen (Sohn des Nachbarn Johann Schmidt), als auch bei Sterbeeinträgen (es verstarb der Nachbar Franz Schmidt) auf.
Die Orte in denen der "Nachbar"-Eintrag auftaucht sind im ganzen Kirchspiel verteilt.
Oder ist ein Nachbar ein Grundbesitzer?
Könnte Nachbar vielleicht einfach nur ein "angesehene Person aus einem Nachbarort" bedeuten?
Die Bezeichnung Nachbar findet sich in Westpreußen nur in den emphyteutischen Dörfern. In den Dörfern mithin, in denen die Bewohner gemeinschaftlich langfristige Erbpachtverträge mit den Grundbesitzern abgeschlossen hatten.
Als Nachbarn wurden dabei nur (!) die den Erbpachtvertrag unterzeichnenden (Voll-)Bauern des Dorfes bezeichnet, die dem Grundbesitzer in der Regel gesamtschuldnerisch für die Erfüllung der vertraglich eingegangenen Verpflichtungen hafteten und dadurch zu einer "Gemeinschaft" zusammengeschweißt wurden, die man "modern" vielleicht als genossenschaftsähnlich begreifen kann.
Im Zuge der Regulierung der bäuerlichen und gutsherrlichen Verhältnisse wurden die Erbpachtsverhältnisse von Volleigentum abgelöst. Nach etwa 1850 finden wir die Bezeichnung "Nachbar" deshalb nicht mehr. Die Bauern werden dann nurmehr als Ackerwirte oder Einsassen bezeichnet.