/AW:Neisse/Glatzer/Lausitzer

Lieber Ekkehart,

aus den inzwischen bekannten Dokumenten läßt sich nicht erhärten, daß die
Westmächte bei der Festlegung der Westgrenze Polens in Potsdam 1945 nicht
zwischen Glatzer und Lausitzer Neiße unterscheiden konnten. Da war wohl nach
dem Krieg manchmal etwas Wunschdenken von den betroffenen Schlesiern dabei.
Ich stamme aus Waldenburg und wäre, wenn die Glatzer Neiße Grenzfluß geworden
wäre, ein "DDR"-Bürger geworden, worauf ich noch nachträglich dankend
verzichte.

Und wenn man es ganz nüchtern sieht, ist der (inzwischen durch die
Geschichte auch schon wieder fast überholte) Grenzverlauf "Oder - Lausitzer
Neiße", der geographisch "glattere" Verlauf. Die "DDR" hätte auch nicht
gerettet, wenn das Gebiet zwischen Lausitzer Neiße und Glatzer Neiße ihrem
Staatsgebiet zugeschlagen worden wäre.

MfG
Werner Hippe
(asgardist@aol.com)

Hallo Werner,
ich erlaube mir, zu Deinen Zeilen auch etwas zu schreiben:

Ich stamme aus Waldenburg und w�re, wenn die Glatzer Nei�e Grenzflu�
geworden
w�re, ein "DDR"-B�rger geworden, worauf ich noch nachtr�glich dankend
verzichte.

Das kann ich gut verstehen, ich stamme aus dem Kreis Waldenburg und wurde
DDR-B�rger.
Wir sagten immer, die Deutschen aus dem verbliebenden deutschen Gebiet haben
den Krieg einmal, die in Westdeutschland gelandeten Vertriebenen haben den
Krieg zweimal und die in der Ostzone gelandeten Vertriebenen dreimal
verloren. Abgesehen vom niedriegeren Lebensstandard, dem Leben in einer
Diktatur, gab es keinen Lastenausgleich. Treffen von Heimatvertriebenen
wurden von der Stasi aufgel�st. Wir hie�en auch Umsiedler. Briefmarken auf
westdeutschen Briefen, die das Wort "Vertreibung" enthielten, wurden
geschw�rzt oder zur�ckgeschickt. In der Schule lernten wir die M�hr vom
urslawischen Gebiet.

Und wenn man es ganz n�chtern sieht, ist der (inzwischen durch die
Geschichte auch schon wieder fast �berholte) Grenzverlauf "Oder - Lausitzer
Nei�e", der geographisch "glattere" Verlauf. Die "DDR" h�tte auch nicht
gerettet, wenn das Gebiet zwischen Lausitzer Nei�e und Glatzer Nei�e ihrem
Staatsgebiet zugeschlagen worden w�re.

Letzteres stimmt nat�rlich. Aber weshalb ist der Grenzverlauf durch die
Geschichte schon wieder fast �berholt? Ist es Dir gleichg�ltig ob man in
Schlesien Deutsch oder Polnisch, im Elsa� Deutsch oder Franz�sisch spricht?
Gru� aus Leipzig Wolfgang Leistritz

Lieber Werner, lieber Wolfgang und Mitleser aus der Liste,

vielen Dank dass Ihr geantwortet habt.

aus den inzwischen bekannten Dokumenten l�sst sich nicht erh�rten, dass

die

Westm�chte bei der Festlegung der Westgrenze Polens in Potsdam 1945 nicht
zwischen Glatzer und Lausitzer Nei�e unterscheiden konnten. Da war wohl

nach

dem Krieg manchmal etwas Wunschdenken von den betroffenen Schlesiern dabei.
Ich stamme aus Waldenburg und w�re, wenn die Glatzer Nei�e Grenzfluss

geworden

w�re, ein "DDR"-B�rger geworden, worauf ich noch nachtr�glich dankend
verzichte.

Das mit dem "falschen" Grenzverlauf, fiel mir inzwischen ein; ich hatte ich
hatte es in der Schule. Der Lehrer zitierte aus einem Zeitungsartikel. Er
selbst stammte aus B�hmen.

Wir sagten immer, die Deutschen aus dem verbleibenden deutschen Gebiet

haben

den Krieg einmal, die in Westdeutschland gelandeten Vertriebenen haben den
Krieg zweimal und die in der Ostzone gelandeten Vertriebenen dreimal
verloren. Abgesehen vom niedrigeren Lebensstandard, dem Leben in einer
Diktatur, gab es keinen Lastenausgleich. Treffen von Heimatvertriebenen
wurden von der Stasi aufgel�st. Wir hie�en auch Umsiedler. Briefmarken auf
westdeutschen Briefen, die das Wort "Vertreibung" enthielten, wurden
geschw�rzt oder zur�ckgeschickt. In der Schule lernten wir die M�hr vom
urslawischen Gebiet.

Ich wusste �berhaupt nicht, wie schwer es die Vertriebenen in der DDR
hatten. Im Westen lebend, machten wir uns auch wohl auch kaum Gedanken
dar�ber, obwohl man auf uns arme Fl�chtlinge immer nur herabgesehen hat.

Und wenn man es ganz n�chtern sieht, ist der (inzwischen durch die
Geschichte auch schon wieder fast �berholte) Grenzverlauf "Oder -

Lausitzer

Nei�e", der geographisch "glattere" Verlauf. Die "DDR" h�tte auch nicht
gerettet, wenn das Gebiet zwischen Lausitzer Nei�e und Glatzer Nei�e ihrem
Staatsgebiet zugeschlagen worden w�re.
Letzteres stimmt nat�rlich. Aber weshalb ist der Grenzverlauf durch die
Geschichte schon wieder fast �berholt? Ist es Dir gleichg�ltig ob man in
Schlesien Deutsch oder Polnisch, im Elsas Deutsch oder Franz�sisch spricht?

Meine Familie stammt aus G�rlitz und Umgebung. Bei einem Besuch in G�rlitz
stellte ich fest, dass dort kein Schlesisch mehr gesprochen wird. Mit einer
dort noch lebenden, entfernten Verwandten sprach ich dar�ber. Sie erz�hlte
mir, dass die Kommunisten das verboten hatten. In der Schule, bei den
Beh�rden und auf der Stra�e wurde streng darauf geachtet, dass der Dialekt
so schnell als m�glich vergessen wird. Es gab Argumente wie" Das Brudervolk
Polen w�rde mit der schlesischen Sprache beleidigt". Es sollte unbedingt
vergessen werden, das Schlesien einmal deutsch gewesen ist.
Mir ist es eigentlich nicht egal, dass wir den Osten verloren haben.
Geschichte hin oder her. Andere V�lker verloren Kriege und behielten Ihr
Land; andere k�mpften mit Erfolg um Identit�t (z.B. S�dtirol). Nur uns hat
man bewusst in der �ffentlichen Meinung und in den Schulen erfolgreich
umerzogen. Wir sind das Produkt der 68iger, die u.a. die humanistischen
Gymnasien tatkr�ftig abschafften und die Fakult�ten der geistigen
Wissenschaften an den Universit�ten verarmen lie�en. Das Volk der Dichter
und Denker (und Kritiker) gibt es nicht mehr.

Viele Gr��e aus Hamburg
Ekkehart (Herforth)

Hallo Ekkehart,
sch�nen Dank f�r Deine freundlichen und heimatverbundenen Worte. Eine
Anmerkung ist aber notwendig:

Meine Familie stammt aus G�rlitz und Umgebung. Bei einem Besuch in G�rlitz
stellte ich fest, dass dort kein Schlesisch mehr gesprochen wird. Mit

einer

dort noch lebenden, entfernten Verwandten sprach ich dar�ber. Sie erz�hlte
mir, dass die Kommunisten das verboten hatten. In der Schule, bei den
Beh�rden und auf der Stra�e wurde streng darauf geachtet, dass der Dialekt
so schnell als m�glich vergessen wird. Es gab Argumente wie" Das

Brudervolk

Polen w�rde mit der schlesischen Sprache beleidigt". Es sollte unbedingt
vergessen werden, das Schlesien einmal deutsch gewesen ist.

Wahr ist, dass die Kommunisten die Gedanken an die Heimat Schlesien
auszurotten versuchten. Die deutschen Namen der Orte jenseits von Oder und
Nei�e durften offiziell nicht gebraucht werden (heute versuchen manche
Deutsche und die Medien freiwillig nur die polnischen Namen zu gebrauchen).
Was aber nicht stimmt, ist, dass der Schlesische Dialekt verboten wurde. Ich
bin in der N�he von G�rlitz, nach der Vertreibung in die Schule gegangen.
Auch heute noch ist die Sprachgrenze schlesische und s�chsische Oberlausitz
deutlich festzustellen.
Du kannst heute noch in G�rlitz, Niesky oder Rothenburg solche nur von
Schlesiern verwendete W�rter h�ren wie spickig, Kreen, Oberr�ben, Gro�vatel,
Blaukraut, Kl��el, Hosenkascher usw. usw.
Dass sich Dialekte generell zur�ckentwickeln, ist aber eine Tatsache, die
�berall zutrifft. Die Kinder lernen nicht mehr von der m�rchenerz�hlenden
Gro�mutter die Sprache sondern aus Funk und Fernsehen. Hier in Leipzig gilt
es unter Jugendlichen als schick (oder cool) nicht Dialekt zu sprechen.
Schade!
Freundliche Gr��e aus Leipzig
Wolfgang Leistritz

Liebe Liste,

danke f�r die Vervollst�ndigung des alten Lernspruchs zu den Oder-Nebenfl�ssen:

Oppa, Zinna, Hotzenplotz, Glatzer Nei�e, Ole, Lohe, Wei�tritz, Katzbach, Bober
mit dem Quei� und die Lausitzer Neiߴ.

Ich hatte da irgendwie noch verbindene Worte und auch eine weniger holprige
Satzmelodie in Erinnerung. Aber da muss ich mich wohl t�uschen. Immerhin reimt
es sich zum Schluss.

Dass ich mit der Suche nach diesem Spruch eine Diskussion um die Nei�e-Grenze
(BRD-Saga: die dummen, aber guten Amerikaner h�tten Lausitzer und Glatzer Nei�e
verwechselt) und die Lebensf�higkeit der DDR (DDR-Saga: die DDR w�re
gescheitert, weil sie ach so klein gewesen ist) ausgel�st habe, nun ja. Aber
lassen wir nicht noch eine neue Legende entstehen: n�mlich die, dass die
Kommunisten den G�rlitzern ihren Dialekt haben verbieten wollen. Die G�rlitzer
haben fr�her Oberlausitzisch gesprochen, und sie tun es heute immer noch. Und
genauso wie fr�her rollen die gro�st�dtischen G�rlitzer das "R" weit weniger
stark als die Leute vom flachen Lande. Aber das hat mit Verboten nun wirklich
nichts zu tun, denn das war schon immer so. Der Begriff Lausitz war in der DDR
�brigens nicht verp�nt, warum sollte man dann den entsprechenden Dialekt
verbieten?

Herzliche Gr��e, Thomas

Ekkehart W. Herforth schrieb u.a.:

Hallo und guten Tag lieber Wolfgang,

vielen Dank f�r die Antwort.

Hallo,

der G�rlitzer Dialekt ist eher eine Mischung aus Oberlausitzisch und
Schlesisch, da ja G�rlitz ziemlich am Rand von Schlesien liegt. Ich nehme
an, da� es auch kein "reines" Schlesisch gab, sondern viele �rtliche
Dialekte. Das G�rlitzisch, da� vor 70 Jahren meine Mutter lernte, findet sie
heute hier noch wieder, obwohl sie jahrzehntelang woanders wohnte. Das
Nachlassen von Dialektsprech ist wohl eher eine normale Zeiterscheinung.
Ich glaube auch, da� sich Mundarten viel schlechter verbieten lassen als
Sprachen, so dumm waren die Kommunisten nun wohl auch wieder nicht...

Lorenz aus G�rlitz

Hallo Ekkehart,
das Gebiet, in dem schlesischer Dialekt gesprochen wird, stimmt in etwa mit
der alten Provinzgrenze Schlesiens �berein. Das bei Deutschland verbliebene
St�ck Schlesien geh�rt heute fast vollst�ndig zu Sachsen, eine ganz kleiner
Teil ist zu Brandenburg gekommen. Schlesisch kannst Du h�ren in G�rlitz,
Rothenburg, Niesky, Bad Muskau, Hoyerswerda, Wei�wasser... Es ist das
Lausitzer Schlesisch, sehr verwandt mit dem Lausitzer S�chsisch, aber
trotzdem f�r den sprachkundigen Schlesier sehr gut zu unterscheiden
Herzliche Gr��e aus Leipzig
Wolfgang * 1938 im Eulengebirge

Gern w�rde ich einmal erfahren, wo die Sprachgrenze verl�uft; wo gibt es
noch schlesischen Dialekt?

In meinem Alten Atlas (1920er Jahre) lag (?liegt) die Grenze zwischen dem
S�chsisch und dem Oberlausitzisch etwa auf halber Strecke zwischen Dresden und
Bautzen, also deutlich innerhalb von Vorkriegs-Sachsen. Das Oberlausitzisch ging
dann nach Osten bis etwa zu einer Linie Bunzlau-Lauban. Das hei�t G�rlitz lag
mittendrin im Sprachgebiet Oberlausitzisch, dass sich so ziemlich mit der
historischen Region Oberlausitz deckt, unabh�ngig davon, ob es zu Schlesien oder
Sachsen geh�rte. �stlich der Linie Bunzlau-Lauban wurde dann der Oberl�ndische
(im S�den) bzw. Neiderl�ndische (im Norden) Dialekt des Schlesischen gesprochen.
So jedenfalls steht es in dieser Mundart-Karte aus den 20er Jahren.

Ob es da seitdem zu Verschiebungen kam, wei� ich nicht. Wenn es welche gegeben
hat, dann sicher Richtung Osten. Aber da gibt es sicher Kenner vor Ort.

Herzliche Gr��e aus Halle (einer Stadt mit einer geb�rtigen G�rlitzerin als
Oberb�rgermeisterin), Thomas