Guten Abend,
eben habe ich einen Ehevertrag von 1822 (Original im Landesarchiv Speyer,
der Notar hieß Vola und arbeitete in Kirchheimbolanden in der Pfalz)
abgeschrieben und bin ganz am Schluß auf eine Formulierung gestoßen, die ich
nicht verstehe.
Es heiraten Abraham Decker und Johanna Aron. Mitanwesend sind Abrahams
Mutter, die Witwe Sara Decker, letztere „verbeystandet durch ihren Bruder
Moses Aron, Handelsmann in Mettenheim“. Sara Decker übergibt ihrem Sohn
anläßlich der Heirat ihr Wohnhaus.
"Worüber Akt so geschehen pasirt und denen sämtlichen Comparenten durch
den Notär lauth
und verständlich Vorgelesen zu Kirchheimbolanden auf der Amt-Stube des
Notärs und am Tag, Monath und Jahr wie schon oben gemeldet ist
in Gegenwart von
Johannes Mayer Taglöhner und Carl Fritz Bott am hiesigen Friedensgericht,
beyde zu Kirchheimbolanden als Zeugen,
welche diesen Akt mit denen beyden Comparenten Deker, Aron,
da die Johanna Aron, und die Wittib Deker erklährten, nicht schreiben zu
können und zwar letztere aus Mangel des Gesichts -
und dem Notär unterzeichneten -
die genannte Johanna Aron hingegen sezte blos ihr gewöhnliches Handzeichen
beye ---
Abraham Decker
Moses Aron
Carl Fritz
Johannes Mayer
Vola, Notär"
Kann sich jemand vorstellen, was es mit dem Begriff "aus Mangel des
Gesichts" auf sich haben könnte?
Ich weiß von keiner Straftat der Witwe Sarah Decker, aufgrund derer man
ihr ihre Rechte entzogen haben könnte. Als Witwe war sie voll rechtsfähig,
d.h. sie benötigte nicht mehr die Erlaubnis ihrer Eltern, um ein
Rechtsgeschäft abschließen zu können (diese Erlaubnis brauchte sie z.B. nach einer
Scheidung).
Andererseits ist da diese seltsame Bemerkung am Anfang, daß die Witwe Sara
Decker durch ihren Bruder "verbeystandet" sei. Das würde sie nicht
benötigen, da sie anwesend und halt eben voll rechtsfähig war.
Seltsam.
Mit freundlichem Gruß
Roland Geiger