Sehr geehrter Herr Wiesmann,
ich las Ihren Brief, den Sie an Herrn Sobe schrieben. Auch ich schrieb Ihrem
Kardinal Lehmann eine e-mail, die meine absolute Unfassbarkeit ueber dieses
Unterfangen ausdrueckte.
Sie irren sich, wenn Sie denken, dass sich durch Ihren Brief "die
Vorbehalte und Besorgnisse" wegen der Uebergabe der ueber 3000
Kirchenbuecher an Polen " bei Wuerdigung aller Gesichtspunkte
moeglicherweise ausraeumen" lassen.
Beiweitem nicht.
Als ersten Punkt fuehren Sie an, dass es leider nicht stimmt, dass die
"fraglichen Kirchenbuecher... von katholischen Gemeindemitgliedern gerettet
worden" sind. So werfen Sie den Fluechtlingen vor, indem sie die
Kirchenbuecher nicht gerettet haben, haben die Fluechtlinge auch kein Recht
zu sagen, was mit den Buechern geschieht. Kommen Sie aus einer
Fluechtlingsfamilie? Die Fluechtlinge sind um ihr Leben gerannt und hatten
andere Sorgen, als die Kirchenbuecher zu retten. Meine Mutter, die alleine
mit einem Kinderwagen und drei kleinen Kindern im Alter von 2,4 und 6 Jahren
aus Ostpreussen im Januar 1945 im strengsten Winter fluechtete - rettete
"nur" uns und sonst nichts. Was wussten die Fluechtlinge, dass ihre Heimat
auf immer und ewig verloren war - das wussten sie doch nicht. Das ist ein
starkes Stueck, die Uebergabe der Kirchenbuecher an Polen zum Teil damit zu
rechtfertigen, dass die Fluechtlinge, da sie die Buecher ja nicht selbst
gerettet haben, auch keinen Anspruch auf die Buecher haetten.
Ihr zweiter Punkt ist, dass "nur ein kleiner Teil der Buecher aus den
Dioezesen stammt, die vor dem Zweiten Weltkrieg in den Grenzen des Deutschen
Reiches gelegen haben, oder aus der Dioezese Danzig." Warum werden diese
Buecher denn abgegeben, die doch die Vergangenheit der deutschen
Bevoelkerung widerspiegeln? Welche Bedeutung haben diese Kirchenbuecher denn
fuer Polen?
Zum dritten Punkt - lesen Sie den unten angefuegten Brief von Dr. Sander
(Evangelisches Zentralarchiv Berlin), der
die Einstellung der evangelischen Kirche vertritt. Entscheiden Sie, welche
Einstellung mehr Respekt fuer die Situation der Fluechtlinge zeigt.
Ein vierter Punkt, den Sie nicht ansprechen.Niemand kann wegleugnen, dass
diese Tat keine Verbesserung fuer Forscher bedeutet. Zwar wird betont, dass
polnische Fachkraefte zur Verfuegung stehen. Wenn wir Deutschen schon grosse
Schwierigkeiten mit dem Lesen der alten deutschen Schrift haben - denken Sie
eine polnische Fachkraft, so gut sie auch sein mag, kann die Kirchenbuecher
genauso gut lesen wie jemand, dessen Muttersprache deutsch ist.
Der katholischen Kirche ist es egal, dass dieses kleine Stueck Heimat, dass
die Fluechtlinge noch haben, an eine Nation weggegeben wird, die zu den
Kirchenbuechern keine Beziehung hat.
Die Kirchenbuecher haben fuer die katholische Kirche doch auch nur noch
historischen Wert. So hat es sich ergeben, dass die Buecher - neben dem
ungemeinen Wert, den sie fuer die Fluechtlinge haben, auch einen enormen
Wert fuer Ahnenforscher haben und auch fuer andere Wissenschaften. Denken
Sie nicht, dass es Zeit waere, die Buecher nicht als "katholisches
Kirchengut" zu sehen, sondern als "deutsches Kulturgut?"
Ehrlich gesagt, Ihre Antwort raeumt nicht 'einen Vorbehalt oder eine
Besorgnis' aus dem Wege.
Mit Gruessen
Dr. Elke Hedstrom, Garland, TX/USA
Briefe an den Herausgeber, FAZ 22.10.2001
Geregeltes Eigentum evangelischer Kirchenb�cher
Zum Artikel "D steht f�r Danzig" (F.A.Z. vom 17. September): Die Diskussion
auf dem 72. Deutschen Archivtag in Cottbus und Anfragen im Evangelischen
Zentralarchiv in Berlin, ob die evangelische Kirche dem Beispiel der
katholischen Kirche folgen werde und die von ihr verwahrten Kirchenb�cher
aus den historischen deutschen Ostgebieten an polnische Einrichtungen
abgeben werde, veranlassen mich, noch einmal die Stellung der evangelischen
Kirche darzustellen: In der evangelischen Kirche ist die Kirchengemeinde
Eigent�merin ihrer Kirchenb�cher. Sie ist eine K�rperschaft des �ffentlichen
Rechts. Die evangelischen Kirchengemeinden in den �stlich von Oder und Nei�e
gelegenen Kirchenprovinzen der damaligen Evangelischen Kirche der
altpreu�ischen Union sind durch die Vertreibung der Gemeindeglieder
untergegangen. Mit Ausnahme der Kirchenprovinzen Pommern und Schlesien sind
auch die dort gelegenen Kirchenprovinzen mit ihren Leitungsorganen
untergegangen, so da� die Landeskirche, die damalige Evangelische Kirche der
altpreu�ischen Union, die Rechtsnachfolgerin des Eigentum der
Kirchengemeinden geworden ist. F�r die Evangelische Kirche der Union, der
Rechtsnachfolgerin der Evangelischen Kirche der altpreu�ischen Union, hat
das Kammergericht in Berlin 1910 dies f�r das in der Bundesrepublik
gelegene Eigentum der untergegangenen Gemeinden festgestellt, Damit ist das
Eigentum an diesen Kirchenb�chern in der Bundesrepublik Deutschland
eindeutig geregelt, so da� keine Anspr�che auf sie erhoben werden k�nnen,
wie es die Konferenz der polnischen katholischen Bisch�fe f�r die 3361 -
nicht 3661 - Kirchenb�cher getan hat, die derzeit im Bisch�flichen
Zentralarchiv Regensburg aufbewahrt werden.
Auf dem Archivtag in Cottbus wies Dr. Michael Silagi vom Institut f�r
V�lkerrecht der Universit�t G�ttingen darauf hin, da� nach der
Staatennachfolgekonvention von 1983, die allerdings bisher nur von f�nf
Staaten angenommen wurde und deshalb noch nicht in Kraft getreten ist, bei
der Vertreibung der Mehrheit der Bev�lkerung das Territorialprinzip f�r
Archivgut durch das personale Herkunftsprinzip ersetzt wird. Er kam zu der
Schlu�folgerung, da� nach dieser v�lkerrechtlichen Auffassung die
Einrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland das Recht haben, von Polen
die Herausgabe des von deutschen Einrichtungen stammenden Archivgutes zu
verlangen.
Dr. Hartmut Sander,
Evangelisches Zentralarchiv, Berlin