Liebe Frau M,
ich weiß ja nicht, welchen Grund es gibt, hier seinen Familiennamen zu
verschweigen, aber gut. Der Geburtsname Ihrer Großmutter dürfte ziemlich
sicher ein masurischer/polnischer gewesen sein.
Sie schrieben:
Wie sich herausstellte, war die Suche unter den verschiedenen
Varianten des Geburtsnamens bisher deshalb erfolglos, weil der
Nachname in der uns bekannten Form zwar richtig war, der Vorname
jedoch nach der Flucht und in den Wirren des Krieges
verändert/abgewandelt wurde.
Der ist nicht in irgendwelchen Wirren quasi zufällig geändert worden,
sondern, es gab eine Phase um 1945 - 49, in der die Polen versucht haben,
die verbliebenen Deutschen zu Polen zu machen. Wer sich nicht
schriftlich als Pole erklären wollte, hatte nichts Gutes zu erwarten. Es
gab durch die Miliz Haft in irgendwelchen Kellern, Schläge usw.
Nachlesbar in einigen Kreisbüchern der masurischen Kreise, zumeist am
Ende des jeweiligen Bandes stehend.
Im Buch "Der Kreis Johannisburg" findet sich ein solcher Beitrag, in dem
die Zustände nach 1945 vor Ort beschrieben werden. Daraus, S. 352:
"Ausweisungen. Die Ausweisung der deutschen Bevölkerung begann Ende
Oktober 1945 und wurde zunächst bis Januar 1946 fortgeführt, bis zum
Jahre 1949 erfolgten weitere Ausweisungen. Schon im Herbst 1945
erfolgten Aufrufe zur Option für Polen, die später mit Zwangsmaßnahmen
begleitet wurden und sich bis zu Grausamkeiten steigerten. Heute dürften
sich höchstens bis zu 5 % der ursprünglichen Einwohner im Kreisgebiet
befinden. Da man sich vor der Weltöffentlichkeit scheut, auf die
Zurückgebliebenen direkt mit Gewaltmaßnahmen einzuwirken, werden
Schikanen amtlich angeordnet. (Unerschwingliche Zölle für alte Kleider
usw. an die zurückgebliebenen alten Leute.) [...]" [hier Kleider, die
aus Restdeutschland gesendet wurden.]
Zu den Maßnahmen gehörte auch die Polonisierung der Namen. Ich weiß von
einer Familie Pisa, die sich anschließend Pyza schreiben sollte, was sie
aber nicht akzeptiert hat. Sie bekam das kleinste Haus im (eigenen) Dorf
zugeteilt. Mein Vater war in dieser Zeit als Waise in eine (polnische,
es gab keine deutschen) Schule in Pommern gebracht worden. Dort bekam er
einen kompletten polnischen Namen. Die polnische Umschreibung/Übersetzung
usw. von Namen war Programm. (Sic!) Das macht übrigens auch die Suche in
polnischen Archiven nicht gerade leicht: Man muss diese
Polonisierungsmöglichkeit für bestimmte Personengruppen berücksichtigen.
Warum wollte man die verbliebenen Deutschen denn zwingen Polen zu werden,
wenn man die Deutschen doch an sich gar nicht wollte? Das mag man sofort
fragen. Sie waren schlicht als Arbeitskräfte auf dem Lande sehr gefragt,
da kompetenter, fast immer erfolgreicher im Landbau, und es herrschte in
den polnischen Großstädten chronische Nahrungsmittelknappheit - obwohl
die Felder schlecht bestellt wurden oder sogar brach lagen (Misswirtschaft).
Als Industriearbeiter und -ingenieure waren sie selbstverständlich
ebenso gefragt (betrifft v.a. Schlesien), weshalb man sogar Deutsche aus
der DDR zurückholte!
Wer sich fragt, warum ich in dieser Liste solche Ausführungen schreibe,
dem sei gesagt, dass das Wissen um diese schwere Zeit hier in
Westdeutschland per Schulbuchinhalten und Medien praktisch nicht
vermittelt wird (m.W. bis heute, aber ich habe schon länger kein
Schulgeschichtsbuch mehr in die Hände bekommen), aber es war eben nicht
so, dass im April 45 der Krieg vorbei war und "dann kam der
Marshall-Plan" und Adenauer. Zum Verständnis der Gesamtsituation unserer
Eltern/Großelterngeneration ist es aber notwendig, zumindest hilfreich.
Th. Salein